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Dieser Beitrag thematisiert die Veränderungen der Textarbeit in der geisteswissenschaftlichen Forschungspraxis und des mit ihr verbundenen Mediums der Monographie. Hierzu werden zunächst die Anforderungen der geisteswissenschaftlichen Forschung und des Textformats Monographie analysiert. Anschließend wird die Textarbeit als Forschungspraxis anhand von Arbeitsweisen des Lesens und Schreibens rekonstruiert, welche wechselseitig die Monographie als zentrale geisteswissenschaftliche Ergebnisdarstellung bestimmen. Darauf aufbauend werden die bisherigen Probleme und zukünftigen Potenziale der digitalen geisteswissenschaftlichen Monographie diskutiert und ihre Gestaltungspotenziale skizziert.
This article issues the changing textual working practices in the humanities and their interconnected medium of the digital monography. First, the requirements of research in the humanities and those of the format of the monography are analyzed. Then, the textual working practices are reconstructed as practices of reading and writing, which mutually determine the monography as primary representation of findings in the humanities. Finally, the current problems and future potentials of the digital monography are discussed in their design capabilities.
Wenn sich soziale Umbrüche abzeichnen, kulturelle Ordnungsmuster zerfallen und sich
lebensweltliche Gewissheiten auflösen, wird den Geisteswissenschaften als Vermittlern
zwischen menschlicher Erfahrungswelt und sozialer Strukturierung eine wachsende
Bedeutung zugeschrieben:
Die Digitalisierung führt aber nicht nur zu einer wachsenden Bedeutung der Geisteswissenschaften, sondern wirkt sich auf diese auch selbst transformativ aus. Ihre Forschungspraktiken und Ergebnisse werden zum Teil digital verändert, wenn auch wesentlich langsamer und diskursiver als in den Natur- und Technikwissenschaften. Im Folgenden wird deshalb der Frage nachgegangen, inwiefern sich der Kern der Textarbeit in der geisteswissenschaftlichen Forschungspraxis und das mit ihr verbundene Medium der geisteswissenschaftlichen Monographie unter dem Einfluss der Digitalisierung verändern oder verändern könnten. Hierzu wird zunächst ein Konzept der Gestaltung von digitalen Texten in typisierten Handlungspraktiken vorgestellt, sowie die Anforderungen geisteswissenschaftlicher Textarbeit und ihre Umsetzungen im Textformat der Monographie analysiert. Darauf aufbauend werden die bisherigen Probleme und zukünftigen Potenziale der digitalen geisteswissenschaftlichen Monographie diskutiert und verschiedene Gestaltungspotenziale skizziert.
Herangezogen werden dabei Erkenntnisse zu den Themenfeldern der Gestaltung digitaler Lesemedien, der geisteswissenschaftlichen Forschungspraxis sowie der Digitalisierung der Geisteswissenschaften, die alle jedoch verschiedene problematische Desiderate in Bezug auf die Fragestellung aufweisen:
Ergebnisse zur Gestaltung digitaler Texte konzentrieren sich bisher vor allem auf
digitale Kurztexte im Kontext sozialer Netzwerke.
Das Feld der Wissenschaftstheorie beschäftigt sich dagegen umfassend mit
wissenschaftlichen Erkenntnisprozessen sowie der Funktionsweise und den Leistungen
des Wissenschaftssystems, konzentriert sich aber weitgehend einseitig auf Natur- und
Technikwissenschaften. Geisteswissenschaften werden in der Regel nicht als
eigenständiger Forschungsbereich thematisiert.
Die Digitalisierung geisteswissenschaftlicher Forschung wird schließlich in
unterschiedlicher Weise thematisiert:
Textarbeit vollzieht sich als kommunikativer Prozess immer über technische Medien,
die über ihre Gestaltungspotenziale und -grenzen die Möglichkeiten von Lese- und
Schreibpraktiken bestimmen und damit Einfluss auf die Rezeption und Verarbeitung
schriftlich codierter Informationen nehmen.
Die damit verbundenen weitreichenden Möglichkeiten der digitalen Textgestaltung
wurden und werden allerdings bisher nur in Ansätzen umgesetzt, bis heute sind
digitale Langtexte vor allem Imitationen gedruckter Bücher, Zeitschriften und
Zeitungen im digitalen Medium, weshalb zunächst vor allem die Auswirkungen
unterschiedlicher Ausgabegeräte über Bildschirme, Bedienelemente und Dateiformate
diskutiert wurden.
Die Konzentration auf digitale Imitationen gedruckter Vorbilder führte auch in der
Lese- und Leserforschung dazu, dass digitale Texte, wie früher ihre analogen
Vorbilder, als wenig variantenreiche Entitäten des Lesens und Schreibens definiert
werden, beispielsweise unter der schlichten Verwendung der Präfixe
Digitale Texte können in dieser Perspektive nur als funktionale Variable in einem
komplexen System der Nutzungshandlung bestimmt werden, welches multidimensionale,
teils auch widersprüchliche Anforderungen an ihre Gestaltung erzeugt. Digitale Texte
manifestieren sich dabei als funktional gestaltete Entitäten in spezifischen
Handlungsmustern des Lesens und Schreibens,
Insgesamt unterliegt die Gestaltung digitaler Texte somit keinen absolut gültigen
Regeln, sondern ist eine wahrscheinlichkeitsbasierte Mustergestaltung für
kommunikative Interaktionsräume, in denen spezifische Lese- und Schreibhandlungen von
bestimmten Nutzergruppen vollzogen werden.
Digitale Texte als Objekte in Nutzungspraktiken lassen sich aufgrund ihrer medialen
Eigenschaften weiterhin über verschiedene Gestaltungsebenen charakterisieren, deren
Eigenschaften aufgrund der digitalen Medienumgebung als dynamischer Möglichkeitsraum
zu bestimmen sind.
Gestaltungselemente der digitalen Textdarstellung sind dabei im Hinblick auf
kognitionspsychologische Wahrnehmungs- und Verstehensprozesse unter dem Konzept der
Leserlichkeit umzusetzen.
Über ihre digitale Codierung können digitale Texte unterschiedliche kommunikative Kanäle wie Schrift, Bild, Bewegtbild, Animation, 3D-Visualisierungen und Audio in verschiedenen Kombinationen nutzen. Die Gestaltung digitaler Texte reicht deshalb von monomedial schriftcodierten Texten bis zu umfassend multimedial codierten Texten. Mit der flüchtigen und temporären Darstellung von Zeichen statt ihrer materiellen und somit dauerhaften Repräsentation lässt sich die typographische Gestaltung zudem durch den oder die Leser*in oder automatisiert (responsiv) anpassen. Die Gestaltung digitaler Texte reicht somit von festgelegter Typographie bis zu komplett individuell dargestellter Typographie. Weiterhin liegen Informationen als Daten in diskreten Einheiten vor, die in unterschiedlichen Konstellationen abgerufen und dargestellt werden können. Die Gestaltung digitaler Texte über diese Modularisierungsmöglichkeiten reicht über aneinander anschließende Inhalte bis zu voneinander unabhängig abrufbaren Inhalten. Und schließlich ermöglicht die Offenheit digitaler Codierung deren stetige Veränderung, was sich gestalterisch in den Möglichkeiten abgeschlossener bis sich stetig verändernder Texte ausdrückt.
Die Gestaltung des Textzugangs bestimmt dagegen die Handlungsmöglichkeiten der Nutzer*innen mit dem Text und bestimmt dessen Einbindung in Nutzungspraktiken somit maßgeblich mit. Sie manifestiert sich dabei als Softwareoberfläche der Benutzungsschnittstelle und lässt sich gegenüber materiellen Objekten wesentlich optionsreicher und variabler gestalten. Das zeigt sich bereits in den Möglichkeiten der Präsentationsumgebung digitaler Texte, die von standardisierten Container-Applikationen für viele Texte bis zu monolithischen Applikationen eines einzelnen Textes reichen können.
Digitale Texte können dabei potenziell vernetzt gestaltet werden, das heißt in intertextuelle Netzwerke und soziale Interaktionsnetzwerke eingebunden werden. Die Gestaltungsmöglichkeiten reichen hier von singulär bis hochgradig vernetzt. Dazu kommen Möglichkeiten der interaktiven Einbindung des oder der Nutzer*in über Bedienungselemente, spielerisch konzipierte freiwillige Eingriffe in Rezeptionsprozesse oder notwendige Interaktionen zur Erschließung des Inhalts. Die Gestaltung digitaler Texte reicht hier von handlungsarm bis handlungsintensiv. Von besonderer Bedeutung für den Textzugang sind schließlich die Gestaltungsmöglichkeiten der Navigation durch digitale Texte, die umso wichtiger sind, weil materiell bedingte dreidimensionale Orientierungsmöglichkeiten der Textobjekte entfallen. Hier lassen sich verschieden Gestaltungsdimensionen unterscheiden: So können die angebotenen Navigationsmöglichkeiten eindimensional bis mehrdimensional, stetig fortlaufend bis diskrete Einheiten anzeigend, sowie sequenziell fortschreitend bis wahlfrei zugänglich gestaltet werden.
Die konkrete Auswahl von Eigenschaftsausprägungen für Textdarstellung und Textzugang
führt zu angepassten, differenzierbaren Textobjekten für spezifische
Handlungspraktiken des Lesens und Schreibens bestimmter Nutzer*innen zurück, wobei
sich Textobjekte, Rezeptionsprozesse und Handlungen wechselseitig beeinflussen.
Die Geisteswissenschaften in ihren heutigen Interpretationen entstanden wechselseitig
zur Entstehung der modernen demokratischen Gesellschaft aus dem scholastischen und
humanistischen Ideal des Denkens als Urform der Wissenschaft in der Tradition der
Aufklärung als Wissenschaften des Verstehens, Interpretierens und Bewertens
menschlichen Lebens und Zusammenlebens.
Die Geisteswissenschaften greifen aus der Klasse möglicher
Forschungsobjekte bevorzugt in der Geschichte gewordene Gegenstände heraus, die
sie aus ihren Kontexten heraus mit Blick auf ihre Einzigartigkeit untersuchen,
dabei ihre eigene Zugangsweise, auch anhand außerwissenschaftlicher
Erkenntnisprozesse in Diskursprozesse von Forschung und Gesellschaft
einbringen.
Die geisteswissenschaftliche Forschungspraxis unterliegt dabei zwei zentralen
Auslegungen, die sich in den jeweiligen Disziplinen wechselseitig ausschließen
können, sich aber meistens überlagern:
Will man sich der Gestaltung digitaler geisteswissenschaftlicher Monographien annähern, ist es notwendig, zunächst die geisteswissenschaftliche Arbeitspraxis sowie die Funktion der Monographie in dieser Arbeitspraxis zu bestimmen. Geisteswissenschaftler*innen als Textarbeiter*innen, ihre typischen Arbeitssituationen und wissenschaftlichen Bedürfnisse bestimmen dann die Anforderungen, welche die Gestaltung des Textobjekts erfüllen müssen, um funktional genutzt werden zu können.
Understanding these workflows and the problems researchers
face are critical to commissioning editors designing the right kind of content to
address researcher’s needs.
Fokussiert wird in den folgenden Betrachtungen deshalb der Ausschnitt der internen
Wissenschaftskommunikation (Scholarly Communication) der Geisteswissenschaften. Die
handelnden Akteure sind durch ihre Rolle als Geisteswissenschaftler*innen an
Forschungsinstitutionen definiert, deren primäre Bedürfnisse die Problemlösung und
die Erzeugung von Erkenntnis darstellen, die darüber hinaus aber auch durch das
sekundäre Bedürfnis nach Reputation im Wissenschaftssystem gekennzeichnet sind.
Die Basis geisteswissenschaftlicher Arbeitsprozesse ist das Erkenntnismodell der
Hermeneutik als eigenständige Forschungsgrundlage.
In hermeneutischen Perspektiven ist wesentlich, dass Wissenschaft immer an
menschliche und damit subjektive Denkprozesse gebunden bleibt sowie historischen
Konstellationen, beispielsweise dem Stellenwert der Wissenschaft oder Normen und
Werten zu ihren Gegenständen, unterliegt. Ihre Erkenntnisse können somit entgegen der
naturwissenschaftlich formulierten Wissenschaftstheorie niemals objektiviert
sein.
Die Grundlage hermeneutischer Forschung sind dabei stets historische Quellen aller
materiellen Formen menschlicher Lebensäußerungen in lebensweltlichen Praktiken und
Sachverhalten. Verstehen als Quellenarbeit, Lesen und Schreiben erfolgt dabei als
komplexe zirkuläre Methodehermeneutischen Zirkels, der Verstehen als Entwerfen auf der
Erwartung des / der Forscher*in bestimmt hat, wobei diese Erwartung gleichzeitig
aus den Entwürfen resultiert, was wiederum Verstehen verändern.
Ihre Forschungsgegenstände sind komplexe historische, spezifische Gegenstände
einmaliger kulturell bedeutender Leistung, die nicht als feststehende Entitäten,
sondern als stetige Transformationen in sich verändernden Kontexten untersucht
werden. Gegenstandsbestimmungen erfolgen deshalb auch nicht als einmalige und
allgemeingültige Definitionen, sondern nur im Hinblick auf einmalige und temporär
gültige Forschungen. Erzielte Erkenntnisse sind deshalb auch nicht allgemein gültig,
sondern als erneuerter Forschungsgegenstand Bestandteil eines sich stetig
fortsetzenden Wissensdiskurses: Hermeneutische Forschung versichert sich nicht ihrer
gültigen Ergebnisse, sondern ihrer Einbettung in den Erkenntnisdiskurs über kritische
Betrachtungen fremder und eigener Perspektiven und Methoden. Dabei ist ihre
Sprachgebundenheit von besonderer Bedeutung, weil nur differenzierte, präzise
Begriffsverwendungen und Aussagen erlauben, Erwartungen, Entwürfe und
Verstehensprozesse so zu formulieren, dass Reformulierungen von Wissen möglich sind.
Sprache wird somit zum Mittel der Forschung, weil sie Distanzierung von Gegenstand
und Reflexion der eigenen Darstellungen erlaubt.
Trotz dieser Merkmale und der Subjektivität des / der ausführenden Forscher*in
erfolgen hermeneutische Forschungspraktiken aber nicht willkürlich, sondern
unterliegen konventionalisierten, objektiv-wissenschaftlichen Regeln zur
Sicherstellung der Aussagekraft ihrer Ergebnisse: Forschungsgegenstände müssen
systematisch analysiert werden, um Auslegungen ihrer Eigenschaften nachvollziehen zu
können. Hierzu müssen Aspekte im Rahmen eines ganzheitlichen Verständnisses des
Gegenstands und seiner historisch-kulturellen Kontexte betrachtet werden, die
beteiligte Menschen, Lebenswelten und soziokulturelle Rahmenbedingungen einschließen.
Aussagen und Auslegungen sind sachlich-distanziert zu treffen und über Belege zu
stützen. Die Argumentation muss dabei auf abstrahierte Begriffe und theoretische
Modelle verweisen und den Kriterien der Logik folgen. Detaillierter geregelt ist der
Umgang mit Quellen in Form der Quellenkritik:
Insgesamt sind die Erkenntnisse geisteswissenschaftlicher, hermeneutischer Forschung somit stetige Rekonstruktionen soziokultureller Phänomene über deren materielle Erzeugnisse. Festgehalten werden keine unerreichbaren, wahren Gesetzmäßigkeiten, sondern Besonderheiten, die durch historische Praktiken bedingt sind. Diese werden als temporäre Rekonstruktion zum Bestandteil von historischen Diskurssträngen zu ihren Gegenständen, die erneut in sich verändernden Kontexten de- und rekonstruiert werden können.
Hermeneutische Forschung als Ideal wird in den wissenschaftlichen Lebenswelten durch
konkrete alltägliche Arbeitstechniken in institutionalisierten Umgebungen umgesetzt.
Geisteswissenschaftler*innen trennen ihre administrativen und lehrbezogenen
Tätigkeiten an Forschungseinrichtungen dabei stark von ihren Forschungstätigkeiten,
die am Ort ihrer Quellen vollzogen werden und im Anschluss vorzugweise zuhause
stattfinden.
Geisteswissenschaftliche Arbeitstechniken umfassen zunächst die historische Aufarbeitung des zu untersuchenden Gegenstandes, komparative Praktiken bisheriger Erkenntnisse zum Gegenstand und die Deskription und Analyse der genutzten Quellen. Über Vergleiche subjektiver Beobachtungen der materiellen Quellen eines Gegenstands auf der Grundlage umfangreicher individueller Vorkenntnisse werden die Besonderheiten des Gegenstandes durch Zuschreibungen belegter Eigenschaften in ihren historischen Kontexten und Wirkungen herausgearbeitet.
Die grundlegende hermeneutische Arbeitstechnik zur Erzeugung von neuen Erkenntnissen ist dabei die Interpretation der detaillierten Beschreibungen des Forschungsgegenstandes über kognitive Denkprozesse auf der Basis umfangreichen Vorwissens und subjektiver Erfahrung des Quellenmaterials. Interpretieren als Arbeitstechnik ist abhängig von den Zielsetzungen des oder der Forscher*in, die von dessen oder deren Vorverständnis des Forschungsgegenstandes geprägt sind, sowie von den jeweiligen disziplinären Auslegungen geisteswissenschaftlichen Arbeitens.
Als universelle Arbeitstechnik vollziehen sich Interpretationen auf verschiedenen Ebenen und erzeugen verschiedene Teilergebnisse. Auf einer ersten Ebene werden Quellen über ihre Eigenschaften als Aussagen ausgelegt, dann deren Wirkung über deren Logik interpretiert und im Rahmen ihrer Entstehungsbedingungen gedeutet. Dabei entstehen als Teilergebnisse sowohl Rekonstruktionen der bewussten Aussagen von Quellen, als auch der unbewussten Aussagen durch deren komplexe Rekonfiguration, welche die Grundlage hermeneutischen Verstehens darstellen. Auf einer zweiten Ebene umfasst Interpretieren weiterhin das freie, kritische Assoziieren im Rahmen des Vorwissens des / der Forscher*in, das als kreativer Prozess neue Erkenntnisse erzeugt, als solcher aber individuell verläuft und als Arbeitstechnik nicht methodisch standardisiert werden kann.
Interpretieren verläuft somit nicht linear, sondern als fortschreitende und rekursive
kritische Betrachtung aller Quellen und Zwischenergebnisse. Als Arbeitstechnik lässt
sich Interpretieren somit nur als kontinuierlicher zirkulärer Prozess begreifen, der
die tiefergehende Auseinandersetzung mit einem historischen Gegenstand in seinen
zugehörigen Diskursen ermöglicht. Interpretation ermöglicht damit das hermeneutisch
geforderte Verstehen der Aussagen materieller kommunikativer Quellen in ihrer
historischen Kontextualisierung und stellt eine hochentwickelte Form literaler
Kompetenz dar,
Wesentlicher Bestandteil geisteswissenschaftlicher Arbeitstechniken ist dabei die
Schriftsprache, denn alle Deskriptionen, Teil- und Endergebnisse werden in der Regel
schriftsprachlich codiert und fließen in dieser Codierung wieder rekursiv und
transformierend in den Forschungsprozess ein. Texte sind dabei aufgrund ihrer
Funktion als Leitmedium der raumzeitlichen Distanzkommunikation nicht nur die
relevanteste Quelle der Geisteswissenschaften,
Erstens Arbeitsweisen, die der Erzeugung von referenziellen Quellen- und Textnetzwerken dienen, welche als Grundlage Beschreibungen und Interpretationen überhaupt erst ermöglichen. Quellen und Aussagen zu diesen Quellen müssen identifiziert, zusammengetragen und zusammengestellt werden. Hierzu werden sie beschrieben, charakterisiert, ihre Aussagen exzerpiert und ihre Referenzen auf andere Quellen erfasst. Während dieser Prozesse werden sie dabei stets hinsichtlich ihrer Nützlichkeit bewertet und ausgewählt sowie gleichzeitig in neue Referenzen zu Quellen und Texten eingebunden. Zweitens erfolgen Arbeitsweisen, welche Quellen und Texte zu- und untereinander detaillierter in Beziehung setzen, um unbewusste Aussagen herauszuarbeiten. Die gesammelten Indizien werden dabei kategorisiert, systematisiert, verglichen, kontrastiert oder auch vergessen, um Kombinationen zu erzeugen, welche die Grundlage einer Erkenntnis erweiternden Diskussion abbilden können. Drittens erfolgen Arbeitsweisen, die kreative Erweiterungen der bisherigen Erkenntnisse ermöglichen. Mittels Bewertungsprozessen werden die gesammelten Indizien und deren Kombinationen aus dem Wissen des oder der Forscher*in heraus als bedeutend markiert, ergänzt, in Kontexte eingeordnet und kommentiert, was zu einer kreativen Schöpfung neuer Erkenntnis in Form von Argumenten und Belegen führt. Und viertens erfolgen schließlich Arbeitsweisen, welche die transformierten neuen Erkenntnisse logisch darstellen und gegenüber anderen Wissenschaftlern inszenieren. Hierzu werden alle Teilergebnisse strukturiert zusammengestellt, in ihrer Bedeutung dramatisiert und ästhetisiert, illustriert und visualisiert abgebildet.
Hermeneutische Methoden, die mit ihnen verknüpften Arbeitsweisen und das darüber
erzeugte Wissen basieren dabei größtenteils auf komplexen Lese- und
Schreibhandlungen, die eine spezifische Form der Lese- und Schreibkompetenz
voraussetzen.
Diskontinuierliche Lesestrategien zur schnellen Erfassung von Informationen und zur Bewertung von Texten unter der Umgehung der vorgegebenen Textstruktur sind bereits seit der Frühen Neuzeit die Basis jeglicher Forschung. Insbesondere für die grundlegenden Arbeitstechniken zur Erzeugung von Quellen- und Textnetzwerken über Identifikation, Bewertung und Selektion von Indizien ist eine hohe diskontinuierliche Lesekompetenz erforderlich, um notwendige Informationen effektiv und effizient zu erfassen. Hierbei werden Informationen über Schlüsselwörter oder spezifische Formulierungen gesucht, relevante Textteile über paratextuelle Strukturen erkannt und grundlegende Argumentationsstrukturen erfasst.
Diskontinuierliche Lesestrategien sind in der hermeneutischen Forschungspraxis
allerdings kein alleinstehender Erkenntnisprozess, sondern stets Vorstufen
kontinuierlicher Lesestrategien, die als Ideal der Textarbeit zum ganzheitlichen
Verstehen von Gegenständen über tiefergehende Beschreibungen und historisch
kontextualisierte Interpretationen gelten:
By deep reading, we mean the array of sophisticated
processes that propel comprehension and that include inferential and deductive
reasoning, analogical skills, critical analysis, reflection, and insight.
Die erforderliche hohe Lesekompetenz zur Bedeutungskonstruktion aus der Gesamtheit
und linearen Abfolge des Textes über einen längeren Zeitraum, sowie die Zielsetzung
der kognitiven Einbindung in den Text und dessen Verstehen bilden eine auffällige
Parallele zu den Anforderungen hermeneutischer Forschung: Fokussiert werden längere
Texteinheiten in ihrer Gesamtheit, Anordnung und Ästhetik, wobei Rekonstruktionen von
Bedeutung über kognitive Prozesse des Memorierens, des Vergleichs mit eigenem
Vorwissen und über Wissenserweiterungen vollzogen werden. Ziel ist die Bildung einer
fundierten Meinung zu einem verschriftlichten Sachverhalt auf der Basis subjektiver
Quellenkenntnis, historischer Erkenntnisse und subjektiver Wissensbestände in Form
des
Kontinuierliche Lesestrategien erfüllen dabei die Anforderungen hermeneutischer
Methoden, weil sie es ermöglichen, Wissenserzählungen und -diskurse im Detail zu
rekonstruieren, zu durchdringen und nachzuvollziehen sowie deren Widersprüche
aufzudecken und daraus neue Schlussfolgerungen zu ziehen. Da derartige
kontinuierliche Lesestrategien alle Bereiche des Gehirns für Bedeutungskonstruktionen
nutzen, sind damit verbundene Forschungspraktiken anfällig für Störungen. Notwendig
ist somit ein hoher Grad an Aufmerksamkeit, Konzentration und Motivation, was sich in
einem relativ hohen Zeitaufwand und hoher kognitiver Anstrengung niederschlägt.
Komplementär zum Lesen erfolgt geisteswissenschaftliche Textarbeit wechselseitig
durch vielfältige Schreibhandlungen vor, während und nach Leseprozessen. Da
hermeneutische Forschung immer sprachliche Rekonstruktionen beinhaltet, werden ihre
Zwischen- und Endergebnisse schriftlich festgehalten.
Schreiben erfolgt erstens als komplementäre, diskursive Erkenntnismethode zum Lesen
und dient hier dem Verstehen von Quellen und vorliegenden Erkenntnissen mit dem Ziel
der subjektiven Wissenserweiterung. Mit Schreibhandlungen werden eigenständige
Quellendeskriptionen erzeugt, auf deren Grundlage Interpretationen einfacher und
zielgerichteter erfolgen können. Konkrete Formen dessen sind kritische Annotationen,
Zusammenfassungen, Exzerpte, Skizzen, Visualisierungen und Strukturierungen, welche
die Erzeugung der Quellen- und Textnetzwerke abbilden. Schreiben dient zweitens der
Generierung geisteswissenschaftlicher Erkenntnisse. Subjektive komplexe kognitive
Prozesse des Interpretierens werden dabei über Formulierungen verstetigt,
transformiert und erinnert. Schreiben und kreative Wissenserweiterungen ermöglichen
somit wechselseitig die aktive Auseinandersetzung mit dem dekonstruierten Gegenstand,
die strukturierte Rekonstruktion von Erkenntnissen zum Gegenstand und damit die
Fortsetzung des Wissensdiskurses. Schreiben vollzieht sich hier über die Erzeugung
komplexer Texteinheiten strukturierter Aussagen und Argumente. Drittens erfolgen
Schreibhandlungen letztlich zur Veröffentlichung in sich geschlossener Ergebnisse.
Hier existieren aufgrund der hohen Bedeutung der Sprache für alle Aspekte
geisteswissenschaftlicher Forschung hohe Anforderungen an den sprachlichen Ausdruck,
der zugleich Bestandteil der Qualitätssicherung ist.
Geisteswissenschaftliche Arbeitspraktiken des kognitiven Interpretierens, Lesens und Schreibens erfolgen in diesem Rahmen folglich nicht als lineare oder hierarchische Arbeitsschritte, sondern in ihren differenzierten Formen zirkulär und rekursiv über den gesamten Forschungsprozess hinweg. Einzelne Arbeitspraktiken von Geisteswissenschaftler*innen sind gleichzeitig hochgradig individualisiert und drücken sich in persönlichen Arbeitsroutinen aus, die auch die internalisierte Funktion der Monographie und damit verbundene Gestaltungserwartungen beinhalten.
Die skizzierte historisierte Arbeitspraxis von Geisteswissenschaftler*innen erzeugt
Anforderungen an die Gestaltung ihrer genutzten Publikationsmedien, die bis in die
Gegenwart vor allem Monographien, Handbücher, Lehrbücher, Sammelbände, Festschriften
und zu einem wesentlich kleineren Teil Jahrbuch- und Zeitschriftenbeiträge umfassen
und stets komplexe Langtexte darstellen. Sie sind als kohärente sprachliche
Äußerungen thematischer und / oder struktureller Einheit definiert, deren Bedeutungen
durch kontinuierliche Lesestrategien rekonstruiert werden müssen.
Monographien als spezifische geisteswissenschaftliche Textmedien sind dabei spezialisierte komplexe Langtexte eines begrenzten akademischen Themenfelds, die meist von einem einzelnen, seltener von mehreren Autor*innen geschrieben wurden. Sie sind Teil und Ergebnis des komplexen hermeneutischen Forschungsprozesses:
Writing a monograph is not merely the reporting of research
results, analyses, and interpretations, it is the interpretations.
Sie sind somit keine reinen Ergebnisdarstellungen, sondern ästhetisierte Narrative, welche die Arbeitsweisen zwischen Deskription und Interpretation des Forschungsgegenstands unter umfassender historischer Kontextualisierung abbilden.
The typical humanities essay is primarily a verbal document
composed by a single author, written in a more personal style than that of the
scientific article. Typically, it is designed around an argument or narrative that
does not easily lend itself to nonsequential reading.
Im Rahmen der Erfordernisse des Interpretierens als Rekonstruktion und Erweiterung
von Wissen in historischen Wissensdiskursen sind Monographien in hermeneutischen
Forschungsstrategien somit nicht willkürlich gewählte, sondern notwendige,
akzeptierte und erwünschte Textsorten. Ihre thematische Spezialisierung auf enge und
kleinteilige, einzigartige und besondere Gegenstände, ihre detaillierte und
umfassende Darstellung ihrer Gegenstände und ihre Länge sind somit abgrenzende
Definitionskriterien, die sich direkt aus der hermeneutischen Forschungspraxis
ableiten. Sie sind für geisteswissenschaftliche Forschungspraktiken entsprechend
funktional gestaltete Lösungen zur Erarbeitung und Darstellung von Erkenntnissen,
weil sie deren sprachgebundene und schriftsprachlich realisierte Entstehung als
Ursprung und publiziertes Ergebnis effizient und effektiv organisieren.
Als Ergebnisform ist die Monographie deshalb auch heute noch der Gold-Standard des
geisteswissenschaftlichen Publizierens,
Monographs are fundamental means to share fruits of research
in the humanities; they are deeply woven into the way that academics think about
themselves as scholars.
Qualitativ besonders hoch bewertete Monographien werden dabei zu nachhaltigen
Leitmedien, die im Mittelpunkt gegenstandsbezogener historischer Wissensdiskurse
stehen, und um die sich ein komplexes Netzwerk aus Interpretationen,
Fortschreibungen, Kommentaren und Kritiken aufspannt.
Monographien als komplexe Textsorten setzen die Anforderungen sprachlich zentrierter
geisteswissenschaftlicher Forschung über ihre Gestaltung dabei in einer spezifischen
Weise um, die hermeneutische Forschungsprozesse in Form kontinuierlicher Leseprozesse
und verschriftlichten Darstellungen komplexer Interpretationen unterstützt. So sind
ihre materiell über den Kodex geprägten Ordnungsprinzipien inhaltlich linearer
Strukturierung und Navigation Teil des geisteswissenschaftlichen Erkenntnisprozesses
und formen als Ziel zugleich wechselseitig dessen zugehörige
Forschungspraktiken.
Im Vergleich zu technik- und naturwissenschaftlichen Texten bedeutet Gestaltung in
der geisteswissenschaftlichen Monographie zugleich die Fokussierung kontinuierlicher
statt diskontinuierlicher Lesestrategien zur schnellen Erfassung von Ergebnissen.
Hierfür müssen Monographien entschleunigt und langsam
gestaltet werden, damit effiziente Lesewirkungen eintreten können: Gestaltung
bedeutet hier vor allem langsame und kognitiv anspruchsvolle Leseweisen zu
unterstützen und zu forcieren, welche es besser ermöglichen, komplexe Gedankengänge
des oder der Autor*in nachvollziehen zu können.
Die skizzierten Wechselwirkungen geisteswissenschaftlicher Erkenntnismodelle,
Arbeitsweisen und dem Medium der Monographie führen dazu, dass die Möglichkeiten der
Digitalisierung bisher zu keiner umfassenden Transformation des
geisteswissenschaftlichen Publizierens geführt haben: Digitales Publizieren ist hier
im Vergleich zu den Natur- und Technikwissenschaften weit weniger verbreitet,
akzeptiert und innovativ.
Inwieweit dies auf das bisherige Angebot digitaler Monographien zurückgeführt werden
kann, soll auf der Grundlage einer Darstellung der aktuell praktizierten Gestaltung
erörtert werden. Hierzu wurden die Angebote von vier exemplarischen Verlagen
analysiert. Ausgewählt wurde mit Springer Nature erstens ein
international agierender Konzern, dessen Portfolio sowohl HSS-Cambridge University Press zweitens ein an angelsächsischen
Traditionen orientierter klassischer Universitätsverlag mit großem Buchportfolio und
Journalaktivitäten, mit de Gruyter drittens der größte deutschsprachige, primär geisteswissenschaftliche Verlag,
der vor allem Monographien und Sammelbände, aber auch einige Journals veröffentlicht,
sowie mit Nomos viertens ein deutschsprachiger kleinerer
geistes- und sozialwissenschaftlich profilierter Verlag mit ausreichend großem
Buchportfolio und einigen Zeitschriften, der Mitglied der größeren, auf den
deutschsprachigen Markt fokussierten Verlagsgruppe C.H. Beck
ist. Alle verfügen über eine
Es fällt auf, dass die Monographie als zusammengehöriger, komponierter komplexer Langtext in Teile zerlegt und lediglich von einem der vier untersuchten Anbieter auch als Gesamtobjekt bereitgestellt wird. Bei den anderen Anbietern müssen Nutzer*innen mehrere Einzeldateien herunterladen und das Gesamtwerk manuell zusammenfügen, was weder für diskontinuierliche Lese- und Suchprozesse über den Gesamttext hinweg noch für kontinuierliche Leseweisen des ganzheitlichen Verstehens gebrauchstauglich gestaltet erscheint. Bei den Anbietern wird offenkundig nicht zwischen Monographien, Sammelbänden oder Lehrwerken unterschieden, obwohl diese in der geisteswissenschaftlichen Forschungspraxis unterschiedliche Funktionen erfüllen und unterschiedliche Gestaltungsanforderungen aufweisen.
In Ansätzen zeigt sich weiterhin, inwiefern momentane digitale Umsetzungen
geisteswissenschaftlicher Publikationen deren Arbeitsprozessen widersprechen, denn
einen Nutzen stiften diese nur, wenn ihre Nutzer*innen zur Textarbeit auch umfassende
Verfügungsrechte
Im Gegensatz zur gedruckten Monographie erscheinen digitale Monographien entsprechend unzureichend gestaltet bzw. bieten nur selten einen Mehrwert, welcher eine Veränderung von geisteswissenschaftlichen Arbeitsweisen rechtfertigen würde: Die digitale Desintegration von Monographien in diskrete modulare Einheiten löst deren hermeneutische Wissenseinheit auf, digitale Arbeitswerkzeuge für Markierungen und Schreibhandlungen sind aufgrund ihrer wenig freien Nutzungsmöglichkeiten intuitiv analogen Schreibpraktiken unterlegen, Darstellungen sind ästhetisch unzureichend umgesetzt und ihre kreative Rekonstruktion durch den oder die Forscher*in durch standardisierte Vorgaben im Vergleich zu freien Schreib- und Visualisierungsflächen stark eingeschränkt. Ihre Nutzung erfolgt daher bisher nicht zur Verbesserung des Erkenntnisprozesses, sondern lediglich im Hinblick auf pragmatische Aspekte der besseren Zugänglichkeit.
Die Digitalisierung geisteswissenschaftlicher Forschung ist kein technikzentrierter
Automatismus, sondern ein gestalt- und steuerbarer Prozess ihrer beteiligten
wissenschaftlichen und ökonomischen Akteure.
Eine Bedingung digitaler Gestaltung von etablierten Textformen wie der Monographie
ist eine grundlegende, intuitive Gebrauchstauglichkeit des Textzugangs,
Digitalisierung ermöglicht zunächst potenziell die ortsunabhängige Zugänglichkeit von
Quellen. Insbesondere die Arbeitstechniken der Identifikation, Zusammenstellung und
Beschreibung der Quellen zur Erzeugung von Quellen- und Textnetzwerken in der
geisteswissenschaftlichen Forschungspraxis werden durch digitale
Gestaltungsmöglichkeiten in Form effizienter Such- und Strukturierungswerkzeuge
bereits maßgeblich beschleunigt und transformiert.
Die Zahl der verfügbaren Quellen und diskursiven Aussagen zu Quellen hat sich dadurch aber auch exponentiell vergrößert und führt zur Überschreitung der kognitiven Verarbeitungskapazitäten des forschenden Subjekts, das immer mehr Texte in kürzerer Zeit lesen muss, um dem hermeneutischen Ideal der Abbildung des gesamten Wissensdiskurses zu einem Gegenstand möglichst nahezukommen. Die damit verbundene Steigerung diskontinuierlicher Lesestrategien unter Reduzierung kontinuierlichen Lesens steht dabei den Anforderungen des Tiefenverstehens entgegen und wird von Geisteswissenschaftler*innen zunehmend als belastend und dem hermeneutischen Verstehen abträglich empfunden.
Digitale Gestaltungspotenziale
Interpretationen und kreative Erkenntniserweiterungen erfolgen dagegen vor allem über
Textarbeit in Form kontinuierlicher Lese- und komplementär begleitender
Schreibprozesse, welche eine grund- und teilweise gegensätzlich andere Gestaltung
erfordern.
Computer, tablets, and smartphones are designed for rapid
use and search, not for reflection and analysis. Digital media facilitate
multitasking, which is antithetical to focused reading. As a result, assigned
reading that is accessed digitally structured encourages hyper reading, rather
than deep reading.
Die Unterstützung kontinuierlicher Lesestrategien als wesentliche Arbeitstechnik
geisteswissenschaftlicher Forschung muss deshalb über dezidierte Gestaltungskonzepte
umgesetzt werden, welche die digitalen Möglichkeiten teilweise bewusst reduzieren und
ausblenden. Von Bedeutung erscheinen hier konzeptionell strukturierte
Textdarstellungen, die als in sich geschlossene Einheit und nicht modular abgebildet
werden und eine typographisch gestaltete, optimale Lesbarkeit ohne
Aufmerksamkeitsstörungen erreichen. Gleichzeitig spielt die Betonung der
hermeneutisch wichtigen Ästhetik der Erfahrung eines Textes eine zentrale Rolle,
weshalb digitale Monographien als ästhetische Einheit eines Leseobjekts und weniger
als dynamische und flüchtige Textdarstellung gestaltet werden sollten. Als größtes
digitales Gestaltungspotenzial gilt im Allgemeinen deren Möglichkeit der multiplen
Nutzung unterschiedlicher Kommunikationskanäle. Die selektive Substitution
differenzierter Sprache durch Visualisierungen verringert jedoch den hermeneutischen
Verstehenswert durch Vereinfachung und Suggestion. Multimodale Darstellungsformen
sind für kontinuierliche Lesestrategien weiterhin generell wenig geeignet, weil
Visualisierungen, Animationen und Verbalisierungen die komplexen kognitiven
Verarbeitungsprozesse von Schriftzeichen stören.
Der Textzugang ist entsprechend ebenfalls intuitiv und transparent zu gestalten. Präsentationsumgebungen sollten Texten zwar abgeschlossenen Objektcharakter verleihen, ansonsten aber maximal gebrauchstauglich und aufmerksamkeitsarm gestaltet werden. Navigationsinstrumente sollten gleichzeitig intuitiv nutzbar und transparent gestaltet werden und deshalb eindimensional, sequenziell und stetig umgesetzt werden. Interaktive Elemente der Informationserweiterung sind zu reduzieren und auf wesentliche Arbeitshilfsmittel zu beschränken, welche die Effektivität des Leseprozesses erhöhen: Inhaltliche Referenzierungen beispielsweise sind als interaktive Elemente immer dann sinnvoll, wenn sie helfen Wissenslücken zu überbrücken, beispielsweise durch Zusatzinformationen zu Fachbegriffen oder Fremdwörtern oder durch Übersetzungshilfen bei nicht-muttersprachlichen Texten. Im Hinblick auf die aktive Textarbeit dagegen sind interaktive Elemente wie das Anbringen von Markierungen und Annotationen, das Exzerpieren und Zusammenfassen von Textpassagen sowie das Extrahieren von Informationen in verarbeitende Systeme wie Literaturverwaltungs- oder Textverarbeitungsprogramme komplementär zum kontinuierlichen Leseprozess als automatisierte oder manuelle Schreibprozesse umzusetzen. Unterschiedliche Arbeitstechniken lassen sich mit den Funktionen von Textverarbeitungswerkzeugen dabei unterschiedlich gut umsetzen, sollten jedoch immer intuitiv und einfach zu benutzen sein sowie den jeweiligen Anforderungen genügen: So sind Annotationen beispielsweise einfache formlose Texte, die direkt Textpassagen zugeordnet werden und vor allem schnell geschrieben werden können. Exzerpte und Zusammenfassungen dagegen setzen Strukturierungsmöglichkeiten voraus und erfolgen wesentlich weniger spontan, sondern abschließend nach kontinuierlichen Leseprozessen einzelner Textteile. Kreative Darstellungen und Inszenierungen sind darüber hinaus dynamische interaktive Schreibprozesse mehrfacher Überarbeitung, die als Rekonstruktionen angelegt sind und entsprechende Werkzeuge kreativer und möglichst freier Darstellung benötigen. Um kontinuierliche Leseprozesse möglichst wenig zu stören, sind Schreibwerkzeuge gleichzeitig nur bei Bedarf anzuzeigen, müssen aber intuitiv abrufbar bleiben.
Digitale Monographien erlauben dabei bereits während ihrer erkenntnisgenerierenden
Erzeugung und nach der Publikation die Verschmelzung informeller und formeller
Wissenschaftskommunikation.
Die gegensätzlichen Anforderungen diskontinuierlicher und kontinuierlicher
Lesestrategien und ihrer zugehörigen Nutzungsweisen müssen in digitalen Monographien
gelöst werden, damit diese einen Mehrwert in Arbeitspraktiken generieren können.
Hierzu kann die Trennung digitaler Daten und deren temporärer Darstellung ausgenutzt
werden, die es prinzipiell erlaubt, dieselben Informationen für unterschiedliche
Arbeitspraktiken und individuell präferierte Arbeitsweisen funktional anders
darzustellen und zugänglich zu machen.
Konkrete Gestaltungspotenziale der digitalen Monographie, die einen Mehrwert für ihre
Nutzerschaft in der geisteswissenschaftlichen Forschungspraxis darstellen würden,
sind weiterhin deren sichtbare und nutzbare Einbindung in Textnetzwerke, die
Integration digitalisierter Quellen und die Kombination mit wissenschaftlichen
Dienstleistungen:
Wissenschaftliches Publizieren und damit auch die Gestaltung digitaler Monographien
erfolgt gegenwärtig über ihre ökonomische Organisation unter der starken
Berücksichtigung wirtschaftlicher Zielsetzungen. Damit einher geht eine Begrenzung
der Umsetzung der skizzierten gestalterische Potenziale,
Besonders für die geisteswissenschaftliche Monographie zeigt sich gleichzeitig eine
wachsende Dysfunktionalität ökonomisch motivierter Produktion und Distribution, da
Differenzierungsprozesse der geisteswissenschaftlichen Forschung immer mehr
kleinteilig spezialisierte Monographien erzeugen, die aufgrund immer weniger
Abnehmer
The current scholarly research process is completely
illogical from an access point of view. Many academics spend years researching and
writing a scholarly book, but find themselves either without a publishing outlet
or with relatively few sales, and commensurate low exposure for their
research.
Da digitale Medienumgebungen das kostengünstige Publizieren per
Knopfdruck erlauben, stellt sich für die Zukunft die Frage, ob eine
wissenschaftsinterne Organisation des geisteswissenschaftlichen Publizierens von
Monographien unter Ausnutzung der skizzierten Gestaltungspotenziale möglich wäre.
Historisch betrachtet sind wissenschaftliche Informationszunahmen und
Gegenstandsdifferenzierungen wiederkehrende Phänomene, denen mit neuen
Verbreitungstechnologien und Publikationsformen begegnet wird. Digitale Technologien
und ihre Ausgestaltung für geisteswissenschaftliche Arbeitsweisen und Publikationen
könnten deshalb Lösungen für zunehmend weniger zu realisierende hermeneutische
Forschungsanforderungen und dysfunktionale Organisationsmodelle zugleich sein.
Allerdings gilt die Umsetzung geisteswissenschaftlicher Arbeitsweisen in Form konzentrierter, tiefergehender Verstehensprozesse über kontinuierliche Lesestrategien und langwierige ästhetisierende Schreibprozesse in digitalen Medienumgebungen aufgrund deren fehlender (materieller) Nutzungs- und Rezeptionsgrenzen als erschwert:
As we have already hinted […] one of the major effects of
digital screens is to shift the balance from continuous reading to reading on the
prowl.
Transformierte digitale Forschungspraktiken setzen deshalb eine aktive
Disziplinierung der Forschenden voraus, die in Form erweiterter
geisteswissenschaftlicher Medienkompetenzen von zukünftigen Forschergenerationen
erlernt werden muss und geisteswissenschaftliche Arbeitsweisen selbst
transformiert.
Die Digitalisierung der Geisteswissenschaften kann somit letztendlich nur gelingen, wenn sie aktiv von ihren wissenschaftlichen Akteuren gestaltet wird und diese sich gleichzeitig anpassen. Sie umfasst nicht nur die eigentlichen Arbeitsprozesse, sondern auch die mit ihnen verbundenen institutionalisierten Strukturen und tradierten Routinen. Durch umfassende Umgestaltungen könnten digitale Monographien dann beispielsweise idealistisch frei zugänglich, wissenschaftsintern bereitgestellt und in ihrer Qualität gesichert als Knotenpunkte gegenstandsbezogener Wissensdiskurse gestaltet werden und diskursive Beiträge zusammenführen. In dieser Form einer ‚open narrative‘ würde sie die historische Wissensentwicklung kumulativ statt additiv abbilden. Damit wäre letztendlich auch das utopische Ideal der historischen Hermeneutik von kollektiv verfassten wissenschaftlichen Texten im Sinne von Roland Barthes erreicht.