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Ausgewählte Beiträge der DHd-Tagung 2014 in Passau
Transformation der WORD-Vorlage nach XML/TEI-P5 durch Apache TIKA 1.7 und XSLT
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Da die mediävistische Textualitätsdebatte von einer deutlichen Zurückhaltung gegenüber der Instanz des Autors geprägt ist, stehen die Voraussetzungen für eine Akzeptanz des Einsatzes stilometrischer Methoden auf dem Gebiet der mittelhochdeutschen Literatur nicht günstig. Doch eröffnet gerade das Spannungsfeld von Tradition und Individualität, das für diese Texte von Bedeutung ist, der Stilometrie Anwendungsmöglichkeiten, die zu einer gegenseitigen Erhellung von Methode und Fachdisziplin führen können. Der Artikel zeigt anhand von Beispielanalysen, wie mittelhochdeutsche Texte sowohl durch individuelle als auch durch gattungsspezifische Stilfaktoren bestimmt sind und was bei der Quantifizierung dieser Kategorien zu beachten ist.
The debate on medieval textuality is shaped by an obvious reservation about the category of authorship. Therefore, the conditions for the acceptance of stylometric methods in the field of Middle High German literature might not seem too favorable. However, it is exactly this tension between tradition and individuality, which bears great significance for those texts, that offers opportunities for the application of stylometric methods, which can lead to a mutual elucidation of method and discipline. The paper provides examples of the ways in which Middle High German texts are influenced by individual as well as genre-specific style factors. Furthermore, it elaborates on the issues that must be addressed for a proper quantification of these categories.
Im Rahmen der Digital Humanities stellt die Stilometrie, also die Anwendung
quantitativer Methoden zur Erfassung und Klassifizierung stilistischer
Merkmale von Texten, eine jener Unterdisziplinen dar, die zur Zeit eine
gesteigerte Aufmerksamkeit der Forschung für sich beanspruchen kann. Das
Potential und die Beliebtheit der Methode belegt nicht zuletzt eine große
Zahl von Publikationen, die sich auch für den deutschsprachigen Raum
nachweisen lässt.feindlichen
Übernahme
der Geisteswissenschaften durch die Computerphilologie
besteht.Zeitschrift für deutsches Altertum gewertet
werdenZeitschrift für Literaturwissenschaft und
Linguistik, die unter dem Titel Turn, Turn, Turn? Oder:
Braucht die Germanistik eine germanistische Wende?
den
gegenwärtigen Stand der Fachdisziplin reflektiert.
Fast sieht es also so aus, als könnte sich nach der mittlerweile recht gut
etablierten digitalen Editorik die nächste Teildisziplin der Digital
Humanities anschicken, ihren Platz auf dem Feld der althergebrachten
Germanistik zu erobern. Jedoch stehen die Voraussetzungen für eine Akzeptanz
der Stilometrie wesentlich ungünstiger, als dies bei der
Editionswissenschaft der Fall war. Denn rückblickend lässt sich feststellen,
dass die Etablierung der digitalen Editorik nicht zuletzt deswegen gelingen
konnte, weil sich die Methode in vorzüglicher Weise zur Beantwortung von
Fragestellungen eignete, die bereits im Fokus der
literaturwissenschaftlichen Diskussion standen: Die Möglichkeiten einer
dynamischen, von Autorpositionen freigehaltenen Betrachtungsweise von Texten
trafen sich mit den Anforderungen einer stark poststrukturalistisch
beeinflussten Philologie, die Konzepte von Subjekt, Autorschaft und
Textfestigkeit zunehmend in Frage stellte.New Philology und der partiellen Rücknahme allzu
radikaler Extrempositionen ist nicht von der Hand zu weisen, dass die
digitale Darstellung gerade für mittelalterliche Texte besondere Vorteile
bietet, da diese nur handschriftlich und in den allermeisten Fällen nur in
späteren Abschriften, nicht aber in einem vom Autor selbst angefertigten
Original überliefert sind.New
Philology vgl. Stackmann 1994 sowie Glessgen / Lebsanft
1997.
Demgegenüber müssen die primären Anwendungsgebiete der Stilometrie aus der
Sicht der traditionellen Literaturwissenschaft zumindest auf den ersten
Blick deutlich rückwärtsgewandt, wenn nicht gar altmodisch anmuten. Nur
allzu leicht etwa könnten stilistische Untersuchungen zur Identifizierung
von Autorschaft, die bislang einen der ergebnisträchtigsten Zweige der
Stilometrie darstellen, Assoziationen an mittlerweile als überholt geltende
Ansätze zur Klärung von ›Echtheitsfragen‹ und anderen wertästhetischen
Problemstellungen hervorrufen.
Es zeigt sich also, dass die Wissenschaftsgeschichte der Mediävistik nicht die besten Anschlussvoraussetzungen für eine autorzentrierte Stilometrie bietet. Gerade eine Fixierung auf die Instanz ›Autor‹ könnte den erkenntnistheoretischen Mehrwert in Frage stellen, der sich durch die Anwendung der Computertechnologie mit ihrer Möglichkeit zur Öffnung und Perspektivierung von Texten ergeben hat. In dieser Hinsicht erscheint die Stilometrie auf den ersten Blick der erfolgreichen digitalen Editorik fast schon diametral entgegengesetzt.
Dieser Befund überrascht umso mehr, wenn man bedenkt, dass gerade der
vielleicht wirkmächtigste Ansatz zur Rehabilitierung quantitativer
textanalytischer Methoden in den Geisteswissenschaften, das von Franco
Moretti in die Diskussion eingebrachte Konzept des Distant
Reading, eigentlich mit dem Anspruch angetreten ist, die
Fokussierung auf Höhenkammliteratur und Autorgenies zu unterlaufen: Durch
die Anwendung quantitativer Methoden, so paraphrasiere ich Moretti, werde es
nämlich möglich, ein realistischeres Bild der gesamten Schriftproduktion zu
erhalten, das sich nicht auf wenige elitäre Spitzenprodukte beschränken
muss, sondern, aufgrund der erhöhten Verarbeitungskapazitäten des Computers,
die breite Masse der tatsächlich vorhandenen Texte erschließen kann.
Doch wird gerade an den Arbeiten von Moretti deutlich, dass sich die
Stilometrie durchaus auch zur Klärung nicht-autorbezogener Fragestellungen
verwenden lässt. So hat sich die stilometrische Forschung etwa schon bald –
und nicht erst seit Moretti – an der Klassifizierung von Texten in Hinblick
auf ihre Gattung versucht, und zwar allein schon aus methodischen
Gründen.
Gerade dieses Spannungsfeld zwischen Tradition und Individualität, welches
sich in der Determiniertheit der Texte zwischen Autor- und Gattungsstil
zeigt, eröffnet nun aber sehr wohl Anschlussmöglichkeiten an
Fragestellungen, die wieder mehr ins Zentrum aktueller Diskussionen in den
traditionellen Literaturwissenschaften führen. Denn Morettis Versuch einer
Entdifferenzierung zwischen Spitzenprodukten und breiter Masse an Texten
erscheint bei näherer Hinsicht der spezifisch mittelalterlichen
Literaturauffassung vielleicht gar nicht völlig unangemessen. So wurde bei
der Beschreibung mittelalterlicher Literatur immer wieder die Notwendigkeit
betont, die einzelnen Texte nicht nach dem Maßstab einer genieästhetischen,
auf Originalität abzielenden Literaturproduktion zu beurteilen, sondern den
Eigenwert einer speziellen Ästhetik der Identität
Ästhetik der Identität
wurde von
Lotman 1993, S. 410ff. geprägt.Wiedererzählen althergebrachter Stoffe.Iwein
von Hartmann von Aue, einer der wichtigsten Artusromane der
mittelhochdeutschen Literatur, über große Passagen hinweg eine ziemlich
genaue Übertragung seiner französischen Quelle, des Yvain
von Chrétien de Troyes. Die Eingriffe Hartmanns in den Text sind zwar
durchaus aussagekräftig, führen aber nicht zu einer völligen Lösung von
seiner Vorlage. Dieser Mangel an Originalität wird dabei nicht als Manko
empfunden, sondern im Gegenteil, gerade die Wiederaufnahme des Altbewährten,
immer schon Gültigen, rechtfertigt erst das literarische Tun. Aufgrund
dieser grundsätzlichen Ausrichtung mittelalterlicher Literatur kommt der
Einordnung der Texte in Traditions- und damit Gattungszusammenhänge
tendenziell eine größere Bedeutung zu als bei modernen Texten – und
dementsprechend, so ließe sich zumindest vermuten, verringert sich die
Relevanz des Individualstils eines einzelnen Autors. Dass die Instanz
›Autor‹ deswegen aber nicht gleich völlig verloren geht, hat die sich am
Poststrukturalismus abarbeitende Autorschaftsdebatte in der Mediävistik
ebenfalls deutlich gezeigt.Tristan Gottfrieds von Straßburg neben
anderen als herausragender Autor gepriesen und gerade für seinen besonders
klaren Stil gelobt.Tristan-Verse 4589–4852. Im ›Literaturkatalog‹
unterbricht Gottfried seine Erzählung von Tristan, um eine Reihe seiner
Meinung nach vorbildlicher Autoren zu nennen. Hartmann werden dabei
insbesondere seine cristallînen wortelîn
, also seine kristall(klaren)
Worte, zugutegehalten (Vers 4629).
Vor diesem Hintergrund könnte es nun gerade besonders interessant erscheinen, auch mittelalterliche Texte in Hinblick auf ihre stilometrische Auswertbarkeit zu überprüfen.
Dem stehen jedoch gewichtige praktische Gründe entgegen: Stilometrische
Verfahren beruhen im Wesentlichen auf der computerunterstützten Auszählung
von Worthäufigkeiten, auf deren Grundlage Texte mit ähnlichem Wortgebrauch
nach statistischen Verfahren zusammensortiert werden. Zwar sind mittlerweile
immer mehr mittel- und frühneuhochdeutsche Texte in elektronischer Form
verfügbar, was die Grundlage für die Wortfrequenzerfassung bietet, die
Vergleichbarkeit des Wortgebrauchs in diesen Texten ist jedoch mit
erheblichen Schwierigkeiten behaftet. Denn im mittelalterlichen Deutsch gibt
es keine festgelegte Orthographie, die Schreibung ein- und desselben Wortes
kann variieren, einerseits regional, weil die Schreiber aus
unterschiedlichen Dialektgebieten stammen, andererseits auch zeitbedingt,
weil sich die Schreibsprache im Verlauf des Mittelalters erheblich verändert
hat. Darüber hinausgehend können die Schreiber der Handschriften auch
unabhängig von Dialekten und Zeitstufen unterschiedliche Schreibgewohnheiten
aufweisen, was sogar soweit geht, dass ein und dasselbe Wort in derselben
Handschrift unterschiedlich geschrieben auftritt. Zwar werden diese
Differenzen in den meisten der heute verfügbaren Textausgaben durch den
Herausgeber ausgeglichen und die Schreibung bis zu einem gewissen Grad
vereinheitlicht, doch stellt gerade diese Normalisierung einen weiteren
Störfaktor dar, denn auch für diese Vereinheitlichung gibt es keine bis in
alle Details festgelegten Regeln, weshalb sie je nach Herausgeber
unterschiedlich ausfallen kann. Schließlich ist noch ein weiterer Punkt zu
nennen, der bei der Untersuchung vieler mittelhochdeutscher Texte ins
Gewicht fällt: Die wichtigsten literarischen Werke sind in Versen abgefasst,
also auch epische bzw. erzählende Texte, die zumeist in Reimpaarversen,
manchmal sogar in Strophen gebunden sind. Die Besonderheiten der metrischen
Struktur und der Reimbindung wirken sich ebenfalls auf den Wortgebrauch aus,
und auch dies kann die Vergleichbarkeit der Texte erschweren.Noise in den herangezogenen
Textkorpora erweisen (vgl. insbesondere Eder 2013, S.
610ff.).
Trotz dieser Schwierigkeiten, mit denen eine stilometrische Analyse
mittelalterlicher Texte konfrontiert ist, habe ich in einer ersten
Annäherung zu eruieren versucht, welche Resultate sich mit den bereits
vorhandenen Textkorpora erzielen lassen. Ziel der im Folgenden beschriebenen
Fallstudien ist es also ausdrücklich nicht, endgültige Ergebnisse zu
liefern, sondern zunächst heuristisch zu ermitteln, welche Probleme genauer
in den Blick zu nehmen sind. Die Grundlage für meinen ersten Versuch bildete
ein Korpus von einigen wichtigen epischen Texten der mittelhochdeutschen
Literatur, das ich mithilfe des von Maciej Eder, Mike Kestemont und Jan
Rybicki entwickelten Stylo-PackagesTristan Gottfrieds von Straßburg, den Parzival und den Willehalm Wolframs von
Eschenbach sowie die epischen Werke Hartmanns von Aue, nämlich die beiden
Artusromane Erec und Iwein
sowie die Legendendichtungen Der arme Heinrich und
Gregorius.Eneas-Roman
Heinrichs von Veldeke, der eine Art Vorläufer der höfischen Klassik
darstellt, in die Analyse mit einbezogen sowie die Werke Konrads von
Würzburg und Ulrichs von Etzenbach, die zeitlich etwas später anzusiedeln
sind.
Eine Clusteranalyse dieser Texte, die auf der Grundlage der 200 häufigsten
Wörter erstellt wurde,
Die Werke der Autoren werden vom Computer ohne Ausnahme richtig sortiert, zum
Teil scheinen sich sogar Texte derselben Gattung zusammenzuordnen, so bilden
etwa die beiden Artusromane Erec und Iwein einen eigenen Unterzweig in der
Hartmann-Gruppe.Tristan die Gruppe der Hartmann-Werke und bildet
mit dem Armen Heinrich einen eigenen Zweig. Zu
den möglichen Gründen hierfür siehe Abschnitt 2.2.Parzival und der Willehalm, die unterschiedlichen Gattungen angehören, auf ein und
demselben Wolfram-Zweig. Diese Ergebnisse sind freilich mit äußerster
Vorsicht zu behandeln: Denn natürlich spielen die bereits erwähnten
Einflussfaktoren wie Schreiber, Schreibdialekt und Herausgeber bei dieser
Sortierung eine Rolle, und ich werde im Folgenden noch näher auf ein
Beispiel für eine solche Verzerrung eingehen. Allerdings wäre selbst unter
Berücksichtigung dieser Faktoren nicht unbedingt eine solch klare Verteilung
zu erwarten, da ja die Werke mancher der hier aufgeführten Autoren in ganz
unterschiedlichen Handschriften überliefert sind und auch von
unterschiedlichen Editoren herausgegeben wurden. So ist beispielsweise die
Ausgabe von Hartmanns Iwein nach Handschriften des
13. Jahrhunderts erstellt, der nebengeordnete Erec
jedoch nach einer Handschrift, die erst aus dem 16. Jahrhundert stammt.
Diese Differenz in der handschriftlichen Basis spielt also offensichtlich
keine genügend große Rolle, als dass sie eine Zusammenordnung der beiden
Texte verhindern könnte.Iwein und des Erec
nach ähnlichen Maßgaben normalisiert worden, doch auch in Bezug auf den
Herausgeberfaktor gilt ähnliches wie für die Handschriften: Trotz zum
Teil unterschiedlicher Ausgabenkonventionen werden die Werke gleicher
Autoren zusammensortiert.
Die Ergebnisse erscheinen jedenfalls vielversprechend genug, um diesen
Zusammenhängen genauer nachzugehen. In einem weiteren Versuch habe ich daher Wolframs Parzival und die beiden Artusromane Hartmanns, den
Erec und den Iwein,
mithilfe des von John Burrows und Hugh Craig entwickelten Zeta-Tests einer
kontrastiven Analyse unterzogen. Dabei werden die einzelnen Texte in
Abschnitte gleicher Länge zerteilt (hier in Abschnitte zu 2000 Wörtern), die
jeweils von einer Textgruppe (Wolfram bzw. Hartmann) im Vergleich zur
anderen konstant bevorzugten Wörter ermittelt und schließlich die einzelnen
Textpartien in eine graphische Darstellung gebracht, bei der wieder
Textabschnitte mit ähnlichem Wortgebrauch näher zusammensortiert
werden.Willehalm, Gottfrieds Tristan und Hartmanns
Legendendichtungen hinzugefügt worden (Abbildung 2).
In der Darstellung repräsentiert jedes Symbol (Kreis, Kreuz und Dreieck)
jeweils einen Textabschnitt. Bei den roten Kreisen handelt es sich um
Textpartien aus Wolframs Parzival (also aus der
ersten Textgruppe), bei den grünen Dreiecken um Abschnitte aus Hartmanns
Artusromanen (der zweiten Textgruppe). Kreuze stellen Abschnitte aus der
Testgruppe dar (Willehalm, Tristan und Hartmanns Legenden), wobei die Partien aus dem Willehalm rot, die aus dem Tristan blau und die aus Hartmanns Legenden grün eingefärbt
sind.
Überwiegend zeigt sich wieder ein relativ klarer Unterschied zwischen den
Autoren, die Textpartien sind nicht weit über das Raster verteilt, sondern
ordnen sich entsprechend den Gruppierungen zusammen. Der Willehalm erscheint zusammen mit dem Parzival deutlich von Hartmann abgesetzt und die Legenden
Hartmanns finden sich bei seinen Artusromanen. Einzig beim Tristan gibt es Unschärfen, da er sich teilweise mit den Werken
Hartmanns vermischt.
Spätestens an diesem Punkt wäre es nun interessant zu wissen, welche Wörter
für diese Sortierung verantwortlich sind. Eine
Auflistung der für die Differenzierung der beiden Korpora aussagekräftigsten
Wörter sieht folgendermaßen aus (Abbildung 3):
Ausgangspunkt der Darstellung ist das Wolfram-Korpus,Willehalm gemeinsam mit dem Parzival in
die erste Textgruppe eingeordnet. Die zweite Textgruppe bilden wie zuvor
Erec und Iwein.Iwein,
im Verlauf des Textes immer mehr vermieden. Vgl. hierzu Schirokauer
1923, S. 13.
Nun eignet sich so gesehen das Wortpaar ›kom‹ versus ›kam‹ bei der direkten
Gegenüberstellung tatsächlich hervorragend zur Differenzierung zwischen
Hartmann und Wolfram,Tristan-Überlieferung – wie
Hartmann aus dem südwestdeutschen Raum stammen.
Und schließlich bleibt die Verteilung der Formen ›kom‹ versus ›kam‹ anfällig
für Schreiber- und Herausgeber-Einflüsse, zumindest solange sie nicht im
Reim auftreten. Gleich dieses erste Wort in der Rangliste bietet also einen
Beleg für die oben beschriebenen Störfaktoren, die die Autorzuordnung
behindern können. Für weitergehende stilometrische Untersuchungen könnte es
sich daher als sinnvoll erweisen, mit lemmatisierten Texten zu arbeiten, um
diese Verzerrungen auszuschließen. Leider gibt es dafür aber noch nicht
ausreichend offen zugängliche lemmatisierte E-Texte, die zur Analyse
herangezogen werden können. Zudem lässt sich am Beispiel zeigen, dass die
Lemmatisierung noch nicht alle systematischen Probleme löst, die die
unterschiedliche Schreibung mit sich bringt: Blickt man nämlich zurück auf
die Reimbindung des Wortes und betrachtet man nach der Gruppe der
Hartmann-Texte nun jene der Wolfram-Texte, dann zeigt sich, dass Wolfram
›kom‹ im Reim nie gebraucht. Dies hat seinen guten Grund, der darin liegt,
dass im Mittelhochdeutschen ein Reimwort auf ‑om sehr viel schwerer zu
finden ist als ein Reim auf ‑am.
Neben diesen problematischen Fällen gibt es in der Wortliste nun aber auch Marker, die eindeutig nicht auf regionale oder Schreibereinflüsse zurückzuführen sind. Ein Beispiel hierfür wäre das Wort ›prîs‹, das in der Liste der von Wolfram bevorzugten Wörter etwas überraschend an zweiter Stelle aufscheint. Für ›prîs‹, was dem Neuhochdeutschen ›Preis‹ im Sinne von Lob, Ruhm und Anerkennung entspricht, gibt es keine doppelte Wortform, der ›prîs‹ wird also tatsächlich viel häufiger in den Wolfram-Texten thematisiert als bei Hartmann.
Die Frage ist nun, ob ›prîs‹ also ein Wort darstellt, das besonders typisch
für den Individualstil von Wolfram ist oder ob andere Faktoren bei dieser
Verteilung eine Rolle spielen. Zur Beantwortung dieser Frage ist es zunächst
von Relevanz, dass ›prîs‹ ein inhaltlich bedeutendes Substantiv ist und kein
lediglich füllendes Funktionswort. Die jüngere stilometrische Forschung
präferiert für die Unterscheidung von Autorstilen bekanntlich eher
inhaltsleere Funktionswörter wie Artikel, Pronomen oder Konjunktionen, da
diese von den Autoren tendenziell unbewusst eingesetzt werden.Parzival als auch im Willehalm häufiger gebraucht, die streng genommen gar nicht zur
selben Gattung gehören.Willehalm ist anders als der Artusroman Parzival ein Text aus der Chanson de
Geste-Tradition. Freilich sind beide Texte von derselben höfischen
Grundhaltung getragen.daß
Wolframs Dichtung von terminologischen Leitmotiven durchzogen ist
(Mohr
1954, S. 175). Im Zentrum von Wolframs Wortschatzes stehen bestimmte
Leitwörter [...], die gewissermaßen das ethisch-theologische Rückgrat
seines Erzählprogramms bilden und immer wieder aufgerufen werden
(Hartmann 2011, S. 150). Heiko Hartmann nennt als Beispiel für solche
Leitwörter ›kiusche‹ (Keuschheit), ›riuwe‹ (Reue), ›triuwe‹ (Treue) und
›zwîvel‹ (Zweifel), deren Stellung im Werk schon genauer untersucht
wurde. Insofern ist es überraschend, dass in der Liste der von Wolfram
bevorzugten Worte nun gerade ›prîs‹ als erstes Substantiv auftritt, das
bislang, soweit ich sehe, noch vergleichsweise wenig Beachtung gefunden
hat. Hier lassen sich Anknüpfungspunkte für eine qualitative Auswertung
der stilometrischen Methode finden: Natürlich können die Leitbegriffe
nicht unabhängig von ihrem Kontext und ihrer Semantik betrachtet werden
und die Häufigkeit eines Wortes sagt noch nicht alles über seinen
Stellenwert aus, dennoch wäre es den Versuch wert, zunächst einmal rein
quantitativ festzustellen, welche Wörter sich aufgrund ihrer Frequenz
als Leitwörter aufdrängen.
Diese Zwischenstellung des Wortes ›prîs‹ zwischen den einzelnen Stilebenen
bringt mich nun wieder zurück zu der Frage, ob mittelalterliche Literatur
vermehrt von Traditionsvorgaben beeinflusst ist und zurück zu dem
vielschichtigen Begriff der Gattung. Die Verwendung von ›prîs‹ bei Wolfram
hat gezeigt, dass es offensichtlich gewisse thematische oder konzeptuelle
Vorgaben gibt, die quer zu diesen Gattungen liegen. Parzival und Willehalm gehören aus
literaturwissenschaftlicher Sicht zwar unterschiedlichen Gattungen an, sie
sind aber aus sprachlicher Sicht durch ein ähnliches Vokabular geprägt, mit
dem Wolfram auf seine spezielle Art ein höfisches Idealbild entwirft. Das
heißt aber, dass der stilistische Befund nicht immer ausreichend zur
Differenzierung von Gattungen ist, zumindest von Gattungen, wie sie in der
Literaturwissenschaft eingeführt sind.
Aus literaturwissenschaftlicher Sicht sind Gattungen nämlich vielschichtige
Gebilde, die sich nicht oder nicht nur durch einen ähnlichen Stil
auszeichnen, sondern auch durch ähnliche Thematik, ähnliche
Figurenkonstellationen oder andere Faktoren bestimmt sein können. Gattungen
sind so gesehen Sammelbegriffe, die ganz unterschiedliche Aspekte vereinen,
die nicht immer auf derselben kategorialen Ebene liegen müssen. So kann etwa
das rein äußerlich-formal hervorgehobene Sonett (eine Gedichtform mit
zweimal vier und zweimal drei Zeilen) ebenso als Untergattung gelten wie
beispielsweise der sich durch seine Hauptfigur auszeichnende Alexanderroman
(ein episches Werk, welches über das Leben Alexanders des Großen erzählt).
Letztlich – so hat die literaturwissenschaftliche Gattungstheorie bereits
seit den 1970er Jahren herausgearbeitet – sind Gattungen in erster Linie
institutionell bestimmt, sie sind Ordnungsbegriffe, die in die literarische
Diskussion eingeführt werden und den Erwartungshorizont von Autoren und
Lesern determinieren.
Das heißt aber auch, dass der literaturwissenschaftliche Gattungsbegriff
nicht unbedingt mit dem sprachwissenschaftlichen Begriff von Textsorten
deckungsgleich sein muss. Dass es ratsam ist, bei der
textstatistischen Analyse zwischen eher literaturwissenschaftlich bestimmten
genres und eher linguistisch bestimmten text types zu differenzieren, hat bereits Douglas
Biber erkannt, der sich in den 90er Jahren mit der stilometrischen
Gattungsbestimmung beschäftigt hat und damit als Vorreiter auf dem Gebiet
gelten kann. Genres sind für Biber, text varieties
that are readily recognized and ›named‹ within a culture (e.g., letters,
press editorials, sermons, conversation)
, entsprechen also dem
institutionell bestimmten, literaturwissenschaftlichen Modell, während der
Begriff text types für varieties that are defined
linguistically (rather than perceptually)
genres als
auch text-types durch gewisse stilistische Eigenarten
auszeichnen, aber nur text-types sind per
definitionem dadurch determiniert:
Both genres and text types can be characterized by reference to co-occurring
linguistic features, but text types are further defined quantitatively such
that the texts in a type all share frequent use of the same set of
co-occurring linguistic features.
Genres müssen dagegen nicht unbedingt sprachlich
kohärent sein: Genres have a perceptual basis in a given culture, but they
are not necessarily linguistically coherent.
Das Problem scheint mir nun zu sein, dass die stilometrische Analyse eher
dafür geschaffen ist, text types zu untersuchen, dass
es aus literaturwissenschaftlicher Sicht aber eigentlich aufschlussreicher
wäre, genres bestimmen zu können. Aus
literaturwissenschaftlicher Sicht sind Gattungen hochgradig unfeste Größen,
die vor allem aufgrund ihrer historischen Veränderlichkeit nur schwer zu
fassen sind. Nur allzu oft scheinen sich Texte der gattungsmäßigen
Einordnung zu widersetzen bzw. die einmal festgelegten Gattungsgrenzen zu
überschreiten. Diese Schwierigkeiten bei der Kategorisierung hat die
Gattungsforschung dazu gebracht, Gattungen als historisch offene Kategorien
mit prototypensemantischen Kernen zu definieren. Und einmal mehr ist die
Situation im Mittelalter besonders prekär, denn anders als wir das vom
heutigen Literaturbetrieb gewöhnt sind, ist Literatur im Mittelalter kein
ausdifferenziertes, institutionalisiertes Teilsystem der Gesellschaft. Es
fehlen die festen Rahmenbedingungen, die wir von einem modernen
Literaturbetrieb kennen, wo die Zugehörigkeit von Texten zu Gattungen viel
stärker reflektiert werden, als dies im Mittelalter der Fall war.
Mittelalterliche volkssprachige Textsorten hingegen sind eher durch eine
sich immer wieder neu formierende, mündliche Aufführungssituation
determiniert als durch eine feste Vorstellung davon, wie Gattungen aussehen
müssen.
Ich möchte an meinem letzten Beispiel zeigen, was dieser Umstand für die
Kategorienbildung bedeuten kann. Ich gehe dazu von der Gattung der Epik zum
Bereich der Lyrik über. Die mittelhochdeutsche Lyrik wird traditionell in
zwei Unterarten eingeteilt, in den Minnesang und den Sangspruch. Die
Abgrenzung zwischen diesen beiden Unterarten ist äußerst unscharf und
letztlich nur thematisch bedingt. Minnesang ist grundsätzlich Dichtung, in
der von höfischer Liebe, also der so genannten Minne, die Rede ist.
Demgegenüber kann der Sangspruch nur negativ definiert werden, er gilt als
alles das im Rahmen mittelalterlicher Lieddichtung, was nicht Minnesang
ist.
Wollte man sich nun mit stilometrischen Methoden an einer genaueren
Differenzierung dieser beiden Formen versuchen, so wird ersichtlich, dass
eine Auszählung der häufigsten Wörter für den Minnesang ein durchaus
interessantes Ergebnis bringt, das schon in einer Darstellung der bekannten
Minnesang-Anthologie Minnesangs Frühling als
Wordcloud auf dem ersten Blick ins Auge fällt (Abbildung 4):
Es zeigt sich, dass diese Gattung ganz offensichtlich durch den
überdurchschnittlich häufigen Gebrauch des Personalpronomens in der ersten
Person geprägt ist (also in erster Linie durch ›ich‹, aber auch durch die
abgeleiteten Formen ›mir‹ und ›mich‹). Dies entspricht der gängigen
Einschätzung des Minnesangs als Rollenlyrik, bei der der Sänger sein Ich
zwischen den beiden Polen ›ich minne‹ und ›ich singe‹ konstituiert. Viel
mehr als um die höfische Liebe selbst geht es also im Minnesang um das
Singen davon, um das Ich, das sich als Liebender definiert.Minnesangs Frühling Lieder finden, die sich nicht
eindeutig dem Minnesang zuordnen lassen, scheint mir hier
vernachlässigbar. Dass sich die Einschätzung der traditionellen
Forschung von Minnesang als Ich-Rede durch den statistischen Befund
stützen und weiterentwickeln lässt, hat auch Manuel Braun bemerkt, in
seinem noch unveröffentlichten Vortrag ›Anfänge bedingter Art‹. Zur
Entstehung der mittelhochdeutschen Ich-Erzählung aus der lyrischen
Ich-Rede
, gehalten auf der Tagung ›Von sich selbst erzählen:
Historische Dimensionen des Ich-Erzählens‹ im Kloster Irsee
(30.9.–2.10.2013). Ich danke Herrn Braun für die Möglichkeit zur
Einsichtnahme in das Manuskript.
Dieser Befund könnte damit zu tun haben, dass der Minnesang ein relativ
streng formiertes Handeln mit ritualähnlichem Charakter darstellt, das
seinen festen Platz in der höfischen Festkultur hatAutor, Epoche, Gattung und Stil – eine stilometrische
Methodenreflexion
auf der Tagung ›Scientia
Quantitatis. Quantitative Literaturwissenschaft in systematischer und
historischer Perspektive‹ (30.9.–2.10.2014, Schloss Herrenhausen) in
Aussicht gestellt.
Ich breche hier meine Beispielreihe ab und fasse meine Überlegungen zusammen:
Ich hoffe mit meinen Explorationen gezeigt zu haben, dass sowohl
traditionelle Literaturwissenschaft als auch Stilometrie bei gegenseitiger
Kenntnisnahme voneinander profitieren können. Die traditionelle
Literaturwissenschaft wird wohl erst dann bereit sein, sich auf
quantifizierende Verfahrensweisen einzulassen, wenn diese den Anschluss an
ihre aktuellen Fragestellungen suchen. Wenn diese Verbindung aber
hergestellt ist, dann – so legen die hier gezeigten vorläufigen Ergebnissen
zumindest nahe – könnte die Stilometrie durchaus ihren Beitrag zu
theoretischen Debatten der Mediävistik leisten, etwa wenn es um die Frage
geht, ob der Individualstil und damit die Profilierung von Autorschaft
vielleicht nicht doch eine größere Rolle spielt als mitunter in der
mediävistischen Forschung angenommen. Umgekehrt sollte die Stilometrie
darauf achten, was die traditionelle Literaturwissenschaft in Hinblick auf
die verwendeten Kategorien zu sagen hat. Denn tut sie das nicht und
überblendet leichtfertig quantitative Textanalyse und Hermeneutik, dann
lassen sich zwar messbare Ergebnisse erzielen, die aber an den Objekten der
Literaturwissenschaft vorbeigehen. Erst die Herausarbeitung der Differenzen
schafft die Voraussetzung für eine gegenseitige Befruchtung der Disziplinen
und ermöglicht einen ›methodischen Brückenschlag‹, der über die bloße
›feindliche Übernahme‹ hinausgeht.Digital Humanities – methodischer
Brückenschlag oder ›feindliche Übernahme‹? Chancen und Risiken der
Begegnung zwischen Geisteswissenschaften und
Informatik
.