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Ausgewählte Beiträge der DHd-Tagung 2014 in Passau
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Lektorat des Textes durch die Redaktion.
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›Mixed Reality‹ beschreibt die Kombination aus virtuellen Umgebungen und natürlichen Benutzerschnittstellen. Das Sichtfeld der nutzenden Person wird hierbei über Head Mounted Displays durch Kopfbewegung gesteuert, Datenhandschuhe ermöglichen die Interaktion mit virtuellen Objekten und omnidirektionale Böden erlauben eine unbegrenzte Fortbewegung durch virtuelle Welten mittels natürlichen Gehens. In einer quasi-experimentellen Untersuchung konnte gezeigt werden, dass ›Mixed Reality‹ sich vor allem auf emotionaler und motivationaler Ebene positiv auswirkt. Die Ergebnisse werden vor dem Hintergrund der Frage interpretiert, inwiefern sich durch derart innovative Technologien grundlegend neue Möglichkeiten für die Erziehungswissenschaften ergeben.
›Mixed Reality‹ describes the combination of virtual environments and natural user interfaces. Here, the user's field of vision is controlled by natural head movements via a head mounted display. Data gloves allow direct interaction with virtual objects and omnidirectional floors enable unrestricted navigation through virtual worlds with natural walking movements. A quasi-experimental study showed that ›mixed reality‹ had a positive effect, particularly on affective and motivational levels. The results are interpreted in the context of the new possibilities for pedagogy offered by such innovative technologies.
Das Selbstverständnis der deutschsprachigen
Erziehungswissenschaft hat sich in den letzten dreißig Jahren geändert
und ändert sich weiterhin. Ein solcher Wandel kann – auf den ersten
Blick – verstanden werden als ein Hinweis darauf, dass sich die
Disziplin neuen Herausforderungen stellt, sich neuen Fragen öffnet,
diese mit neuen Methoden der Erkenntnisgewinnung untersucht und neue
Lösungen entwickelt.
Diese einleitenden Worte im Vorwort eines Beiheftes der Zeitschrift für
Pädagogik mit dem Titel Das Selbstverständnis der
Erziehungswissenschaft: Geschichte und Gegenwart deuten auf einen
vielschichtigen Paradigmenwechsel hin, dem sich die Wissenschaftsdisziplin
unterzieht. In den 1960er und 1970er Jahren markierte die Ergänzung des
geisteswissenschaftlich-hermeneutisch geprägten Selbstverständnisses um eine
empirisch-sozialwissenschaftliche Dimension unter dem Schlagwort der
›realistischen Wende‹ einen ersten methodischen Wendepunkt für die
Erziehungswissenschaft.
So geht es im Sinne der Digital Humanities darum, in und für die
Geisteswissenschaften die Prozesse der Gewinnung und Vermittlung
neuen Wissens unter den Bedingungen einer digitalen Arbeits- und
Medienwelt weiter zu entwickeln
Seit den 1990er Jahren werden Computerspielsimulationen für Lern- und
Trainingszwecke entwickelt und eingesetzt, um komplexe technische Systeme
oder den Umgang mit ökonomischen, ökologischen oder sozialen Systemen zu
erlernen (z.B. Unternehmensplanung, Klimaentwicklung, Stadtplanung).
Für die Anwendung müssen zunächst oben beschriebene Szenarien in virtuellen Umgebungen nachgebaut werden. In Simulationen oder Lernspielen (Serious Games) können die Eigenschaften und Prinzipien mit entsprechenden Inhalten verknüpft und dadurch nachvollziehbar gemacht werden. In den Natur- und Ingenieurwissenschaften dienen virtuelle Labore dem zeit- und ortsunabhängigen Experimentieren und somit dem insbesondere in der Studieneingangsphase so wichtigen Aufbau eines wissenschaftlichen Selbstverständnisses der Studierenden. Wie die obige Aufzählung zeigt, kann der Einsatz virtueller Lernumgebungen verschiedenen Stufen des Lernens dienen. Dies betrifft erstens die Exploration fiktiver Welten, die im physisch Realen nicht umsetzbar sind. Zweitens unterstützen anspruchsvolle Visualisierungstechniken den initialen Verstehensprozess komplexer Lerninhalte und bieten durch Interaktionsmöglichkeiten eine aktive Verarbeitung der Informationen auf unterschiedlichen mentalen Ebenen. Drittens stellt eine virtuelle Lernumgebung häufig die ›vorletzte Stufe des Wissenstransfers‹ dar, die sich in der Übung realer Handlungen im virtuellen Raum manifestiert, bevor diese im physischen realen Kontext angewendet werden müssen. Wie eine bestimmte virtuelle Umgebung erlebt und rezipiert wird, hängt jedoch auch entscheidend von der jeweils eingesetzten Hardware ab.
Ein Nachteil von Simulationen in Bezug auf den Wissenstransfer besteht
häufig in der physischen Künstlichkeit der Lernerfahrung. Die Stelle oder
Handlung, mit der ein Mensch mit einer Maschine in Kontakt tritt, wird
generell als Benutzerschnittstelle (Human Machine Interface, HMI)
bezeichnet.
Dass Mensch und Computer durch Sprache und Gestik miteinander kommunizieren, ist schon lange nicht mehr der Welt von Science-Fiction-Filmen überlassen. Völlig selbstverständlich werden inzwischen Smartphones und Tablet-Computer mit Wischgesten auf dem Multi-Touch-Display bedient. Das Blättern in Fotoalben, Scrollen in langen Artikeln, Zoomen in bestimmte Bildausschnitte oder Webseiten erfolgt nicht mehr durch Anklicken entsprechender Symbole auf dem Bildschirm sondern durch ›Tippen‹, ›Wischen‹ oder ›Finger auseinanderziehen‹. Computer sind darüber hinaus in der Lage, Körperhaltungen, Bewegungen und Gesten des Menschen zu erkennen, in Befehle zu übersetzen und sie auszuführen. Dies kann sowohl gerätebasiert, z. B. über Datenhandschuhe, oder kamerabasiert geschehen, wie bei der Hardwarekomponente Kinect für die Spielkonsole Xbox . Diese Form der Mensch-Computer-Interaktion wird durch das Konzept der natürlichen Benutzerschnittstellen beschrieben (Natural User Interfaces, NUI). In Kombination mit virtuellen Umgebungen werden natürliche Benutzerschnittstellen der sogenannten gemischten Realität zugeordnet, die auch im Deutschen häufig als ›Mixed Reality‹ bezeichnet wird.
Natürliche Benutzerschnittstellen für Visualisierung, Navigation und Interaktion können im Vergleich zu einem feststehenden Rechner oder zu einem Laptop eine weitgehend authentische Lernerfahrung bieten. Bekannte Beispiele sind Flug- und Fahrsimulatoren oder bestimmte Spielkonsolen im Unterhaltungsbereich. Ziel der natürlichen Benutzerschnittstellen ist es immer, die Mensch-Computer-Interaktion intuitiver zu gestalten. Bei solchen Geräten stimmt somit die physisch reale Bewegungshandlung mit der virtuell ausgeführten Bewegungshandlung überein.
Der Nutzer oder die Nutzerin soll darüber hinaus den Eindruck haben,
regelrecht in die virtuelle Welt eintauchen zu können. In diesem
Zusammenhang fällt häufig der Begriff der ›Immersion‹. Als Einstieg sei
Immersion zunächst als eine Kategorie der Wirkung von etwas betrachtet, das
die Aufmerksamkeit von jemandem beansprucht, der sich auf dieses Etwas
konzentriert und einlässt.
immersio
auf eine physische Erfahrung des Ein- bzw. Untertauchens in
Flüssigkeit. Als Phänomen einer intensiven Grenzerfahrung zwischen zwei
Realitätsmodi beschreibt Murray 1999 Immersion als
a metaphorical term derived from the physical
experience of being submerged in water. We seek the same feeling from a
psychologically immersive experience that we do from a plunge in the
ocean or swimming pool: the sensation of being surrounded by a
completely other reality, as different as water is from air, that takes
over all of our attention, our whole perceptual apparatus
Neben der häufig genannten Analogie des Eintauchens bringt die Betrachtung des Immersionsbegriffs in einer Vielzahl wissenschaftlicher Disziplinen entsprechend unterschiedliche Bedeutungsfacetten hervor. Immersive Zustände können dabei sowohl in fiktionalen Welten als auch in nicht-narrativen virtuellen Umgebungen auftreten. Oft ist es das erklärte Ziel von Entwicklern virtueller Welten oder natürlicher Benutzerschnittstellen, den Eindruck des ›Eintauchens‹ durch bestimmte technische Eigenschaften zu unterstützen. Dementsprechend ist in solchen Fällen von immersiven Lernumgebungen oder immersiven Benutzerschnittstellen die Rede. Aus technischer Sicht benötigt der Nutzer oder die Nutzerin für eine erhöhte Immersion eine nahtlose 3D-Sicht der virtuellen Umwelt. Diese wird häufig durch Head Mounted Displays (HMDs) realisiert. Für eine natürliche Navigation in der virtuellen Umgebung können omnidirektionale Laufbänder verwendet werden, die eine freie und unbegrenzte Bewegung ermöglichen und die nutzende Person doch an einem physisch klar begrenzten Ort lassen. Durch Datenhandschuhe kann der Nutzer bzw. die Nutzerin intuitiv mit der virtuellen Umgebung sowie den Objekten, die sich in ihr befinden, interagieren.
Für die Untersuchung und die Messbarkeit immersiver Erfahrungen ist jedoch
eine Spezifizierung des Konstrukts vonnöten. Der Begriff des Präsenzerlebens
verweist auf das Phänomen des räumlichen Eintauchens in eine virtuelle
Umgebung und wird relativ einheitlich als ›sense of being there‹
beschrieben. Im Diskurs über den Einsatz virtueller Welten zu Lernzwecken
taucht außerdem immer wieder die Frage auf, welche möglicherweise
unterstützende Wirkung Immersion auf Lernprozesse haben könnte.
Immersion bezeichnet ein Eintauchen und bezieht
sich, anders als der eher auf Fähigkeiten bezogene Flow, auf die
Fokussierung von Aufmerksamkeit auf die medialen Inhalte […] Genau wie
beim Spielen ist auch beim Lernen ein solches Eintauchen bzw. Aufgehen
in der Aufgabe der Idealzustand zur Erreichung der Lernziele.
Sogenannte immersive Lernumgebungen bezeichnen meist selbst erstellte
virtuelle Räume, die in kommerzielle Online-3D-Infrastrukturen wie Second Life oder entsprechende
Open Source-Varianten wie OpenSim eingebettet sind.
Aufgrund der Möglichkeit, virtuelle Lernumgebungen durch natürliche
Bewegungen zu steuern, liegt das große Potenzial natürlicher
Benutzerschnittstellen für die Erziehungswissenschaft im praktisch
orientierten Teil der Mediendidaktik. Genauer lautet die zu beantwortende
Frage, ob und in welcher Form Schüler und/oder Studierende in Mixed
Reality-Szenarien besser lernen können als in rein virtueller oder in rein
physischer Realität. Bevor natürliche Benutzerschnittstellen flächendeckend
zu Lern- und Trainingszwecken zum Einsatz kommen, sind wissenschaftliche
Erkenntnisse über die Wahrnehmung der Rezeptionssituation und über den
tatsächlichen Lernerfolg notwendig. Deswegen wird die weitere Entwicklung
der Hardware von unterschiedlichen mediendidaktischen und
medienpsychologischen Studien begleitet, von denen eine im Folgenden näher
beschrieben wird. Darüber hinaus stellt sich nach wie vor die Frage, welche
Rolle Immersion beim Lernen in virtuellen Welten spielt. Der Grundsatz der
Digital Humanities, die Prozesse der Gewinnung und Vermittlung neuen
Wissens unter den Bedingungen einer digitalen Arbeits- und Medienwelt
weiter zu entwickeln
Ziel der hier beschriebenen Studie war es zu untersuchen, welchen
Einfluss die Benutzerschnittstellen, mit denen eine bestimmte
Lernumgebung rezipiert wird, auf Rezeptionsprozesse der
Informationsverarbeitung und des Erlebens haben. Um die Effekte
natürlicher Benutzerschnittstellen auf Rezeptionsprozesse präzise
bestimmen zu können, wurde ein Zweigruppenplan erstellt.
Das in der Studie eingesetzte Virtual Theatre ist ein Mixed Reality-Simulator, der die natürlichen Benutzerschnittstellen eines Head Mounted Displays und eines omnidirektionalen Bodens miteinander vereint. Abbildung 1 zeigt die Nutzung des Virtual Theatres sowie ein exemplarisches Lernszenario aus dem Gebiet der Ingenieurwissenschaften.
Das Virtual Theatre kann ausschließlich durch eine einzelne Person genutzt werden, die durch ihre natürlichen Körperbewegungen die Interaktion mit dem System steuert. Die das Virtual Theatre nutzende Person kann sich frei bewegen, indem sie die gewünschte Richtung ansteuert. Der omnidirektionale Boden besteht aus 16 trapezförmigen Elementen. Diese sind aus je 16 festen Rollen zusammengesetzt, die nach außen hin breiter werden. Die Elemente haben an der kurzen Grundseite einen gemeinsamen Ursprung und sind im Mittelpunkt über eine fixierte Plattform miteinander verbunden. Auf der Plattform in der Mitte des Bodens kann sich die nutzende Person bewegen, ohne die Bodenbewegung zu starten. Das Virtual Theatre ermöglicht dem Nutzer außerdem eine nahtlose 3D-Visualierung der virtuellen Umgebung mit einem stereoskopischen 70° Sichtfeld. Jede Kopfbewegung wird in Echtzeit in der Simulation widergespiegelt.
Das Head Mounted Display und der omnidirektionale Boden können wahlweise mit einem Datenhandschuh oder einem Hand-Tracer kombiniert werden, falls das Szenario keine direkte Objektinteraktion erfordert. An diesem etwa handgroßen Metallkreuz sind vier Infrarotmarker befestigt. Abbildung 2 zeigt den Datenhandschuh, den Hand-Tracer sowie die entsprechenden Darstellungen der Handbewegung in einer virtuellen Umgebung.
Der Hand-Tracer reagiert nicht auf Handgesten, wird jedoch für ein korrektes Positions-Tracking benötigt. Für die im Folgenden beschriebene Studie wurde der Einsatz des Hand-Tracers gewählt. Dieser erlaubt es, eine einzelne mögliche Einflussvariable auf die abhängigen Variablen, die Möglichkeit zur gestengesteuerten Objektinteraktion, zu isolieren. Aufgrund der Wahl des Hand-Tracers als Benutzerschnittstelle wird im Folgenden auch nur noch auf diesen verwiesen.
Um die Position der nutzenden Person in Echtzeit in die Virtualität zu übersetzen, ist das Virtual Theatre mit zehn Infrarotkameras ausgestattet. Die Kameras zeichnen die Positionen der Infrarot-Marker auf, die an dem HMD und dem Hand-Tracer befestigt sind.
Im Hinblick auf natürliche Benutzerschnittstellen ist nach wie vor die
Frage offen, unter welchen Bedingungen virtuelle Umgebungen zum besten
Lernergebnis führen und noch weiter gefragt, inwiefern Immersion und
Lernerfolg miteinander zusammenhängen. Der medienpsychologischen
Herangehensweise folgend, ist hierbei die Betrachtung von fünf Faktoren
wichtig
Bei der vorgestellten Studie zum Einfluss natürlicher
Benutzerschnittstellen auf Rezeptionsprozesse der
Informationsverarbeitung und des Erlebens in virtuellen Lernumgebungen
wurden die subjektive Erfahrung des Präsenzerlebens
Eine der wichtigsten Fragen innerhalb eines Bildungs- und Trainingskontextes ist, ob die Erfahrung in einer virtuellen Umgebung über natürliche Benutzerschnittstellen zu einem besseren Lernergebnis führt als über einen die klassischen Benutzerschnittstellen wie Maus und Tastatur eines Personal Computers. Leistungsabfrage ist deshalb eine weitere wichtige Komponente des Studiendesigns. Die erwartete Beziehung zwischen Medienangebot, Person, Situation, Rezeptionsprozessen und Wirkung ist in Abbildung 3 dargestellt.
Um den Möglichkeiten des Virtual Theatres gerecht zu werden, wurde als
Untersuchungsszenario eine Umgebung ausgewählt, die selbstgesteuertes,
exploratives Erlernen räumlicher Strukturen ermöglicht.
Der Versuchsablauf bestand aus insgesamt acht Teilen und dauerte etwa eine Stunde. Die Studie wurde von insgesamt drei geschulten Versuchsleiterinnen durchgeführt. Zur Standardisierung des Versuchsablaufs war zuvor eine umfangreiche Versuchsanordnung verfasst worden. Abbildung 4 zeigt den Gesamtablauf am Beispiel der Experimentalbedingung.
Auch die Aufgaben wurden so gewählt, dass sie der didaktischen Methode
des explorativen Lernens entsprechen. Die Anweisung der initialen
Explorationsaufgabe lautete, frei durch das Labyrinth zu navigieren und
sich die Positionen der Objekte zu merken. Die Probanden erhielten keine
Informationen über die Anzahl der aufzufindenden Objekte. So wurde zwar
das Lernziel vorgegeben ( Merke dir die Positionen der
Objekte
), jedoch nicht die zur Lösung des Problems
möglichen Operatoren, wie z. B. verschiedene Orientierungs- oder
Merkstrategien. Einer typischen Eigenschaft von E-Learning-Angeboten
entsprechend, konnte so jeder Proband und jede Probandin unter
Einschränkung der vorgegebenen Maximaldauer im eigenen, für sich am
besten geeigneten Lerntempo bleiben und seine oder ihre kognitiven
Fähigkeiten selbstgesteuert einsetzen. Beide Gruppen erhielten zuvor die
Möglichkeit, für drei Minuten ein Testszenario (eine italienische
Piazza) frei zu erkunden. Dies diente dazu, die Probanden an den
jeweiligen Steuerungsmodus zu gewöhnen. Zur freien Exploration sowie zum
Einprägen der Positionen der Objekte hatten die Probanden acht Minuten
Zeit. Um ihnen einen Orientierungspunkt zu geben, wurde ihnen zu Beginn
der ersten Aufgabe durch die Versuchsleitung mitgeteilt, dass sie mit
Blick nach Norden starten.
Direkt im Anschluss füllten die Probanden am Tablet-Computer den zweiten Teil des Online-Fragebogens aus, mit dem die abhängigen Variablen des Erlebens abgefragt wurden. Zuletzt erfolgte die Leistungsmessung. Die Art der Leistungsmessung wurde über beide Gruppen konstant gehalten. Der Tablet PC (Nexus 10) wurde gewählt, damit sich das Medium der Wissensabfrage sowohl für die Experimental- als auch für die Kontrollgruppe hinreichend vom Medium der Aufgabe unterscheidet.
Für die Leistungsmessung wurden sowohl Aufgaben im Low-Level als auch im
High-Level-Bereich gewählt.
Im Rahmen eines ersten Pre-Tests ( n = 16) wurde
der Gesamtablauf erprobt. Dies diente gleichzeitig als praktische
Schulung der Versuchsleiterinnen, nachdem diese zuvor eine theoretische
und technische Einführung erhalten hatten. Weiterhin wurde der
Fragebogen vom Paper & Pencil-Format auf ein Online-Befragungstool
(Sosci-Survey) umgestellt. Im Rahmen eines zweiten Pre-Tests ( n = 18) wurde der Ablauf erneut getestet. Nach
dem zweiten Pre-Test wurde der Fragebogen im Bereich der demografischen
Angaben angepasst. Es wurden keine weiteren Änderungen vorgenommen.
Im Folgenden werden die einzelnen Variablen des Quasi-Experiments sowie die dafür ausgewählten Messinstrumente näher beschrieben. Die Experimentalbedingung der Nutzung des Virtual Theatres unterschied sich von der Kontrollbedingung der Nutzung eines Laptops hinsichtlich der Ein- und Ausgabegeräte, der Steuerungsmodi und der daraus folgenden physischen Konsequenzen. Die erste unabhängige Variable fasst das Variablenset der Rezeptionssituation zusammen. Abbildung 6 zeigt eine Übersicht der Unterschiede zwischen den Versuchsbedingungen.
Neben demografischen Angaben wurde als personenbezogene, unabhängige
Variable das domänenspezifische Interesse mit der Subskala des
MEC-Spatial Presence Questionnaire An Computerspielen bin ich generell interessiert
.
Zusätzlich zum Interesse an Computerspielen wurde die Spielfrequenz in
pro Woche gespielten Stunden abgefragt.
Als abhängige Variablen wurden in dieser Studie Rezeptionsprozesse des
Erlebens in Form von Präsenzerleben (erste abhängige Variable) und
Flow-Erleben (zweite abhängige Variable) erhoben. Situative Emotionen
(dritte abhängige Variable) wurden im Hinblick auf das Potenzial von
Mixed Reality zur Steigerung der Lernmotivation ebenfalls abgefragt.
Außerdem wurden drei verschiedene Leistungsparameter erfasst.
Präsenzerleben wurde mit Subskalen des MEC-SPQ von Vorderer et al.
Das mentale Raummodell (SSM) wurde mit vier Items abgefragt, z. B.
Ich hatte eine genaue Vorstellung von der in der virtuellen
Umgebung dargestellten räumlichen Umgebung.
Mögliche
Handlungen wurden ebenfalls mit vier Items, wie z. B. Ich hatte
den Eindruck, dass ich selbst in der dargestellten Umgebung aktiv
werden konnte.
, gemessen. Auch Selbstlokalisierung wurde
mit vier Items erhoben, z. B. Es war so, als ob sich mein
Standort in die präsentierte Umgebung verschoben hätte.
Hemmung durch Fehlersuche wurde mit vier Items, wie z. B. Ich
habe nicht besonders darauf geachtet, ob Fehler bzw. Widersprüche in
der virtuellen Umgebung bestehen.
, erfasst. Die kognitive
Involviertheit wurde mit acht Items gemessen, wie z. B. Ich habe
gründlich überlegt, inwiefern die dargestellten Dinge etwas
miteinander zu tun haben.
Flow-Erleben wurde mit den Subskalen der gedanklichen Absorbiertheit
(vier Items, z. B. Ich fühlte mich optimal beansprucht.
)
sowie glatter automatisierter Verlauf (sechs Items, wie Meine
Gedanken bzw. Aktivitäten liefen flüssig und glatt.
) der
Kurzskala von Rheinberg et al. erhoben (Flow-Kurzskala, kurz: FKS).
amüsiert
für die Subskala
Vergnügen) erfasst. Alle Selbsteinschätzungsvariablen wurden auf einer
siebenstufigen Skala mit beschrifteten Extremen von stimmt
überhaupt nicht
bis stimmt völlig
erfasst.
Sie wurden im Rahmen des ersten Pre-Tests mit der Berechnung von
Cronbachs Alpha auf interne Konsistenz geprüft und hinsichtlich interner
Konsistenz und Ökonomie optimiert.
Als Leistungsparameter wurden die Anzahl korrekt aus dem Labyrinth wiedererkannter Objekte (vierte abhängige Variable), Gesamtdauer (fünfte abhängige Variable) sowie Genauigkeit (sechste abhängige Variable) der Zuordnung von Objekten zu ihren Positionen erhoben. Die Wiedererkennungsaufgabe wurde ebenfalls über das Online-Befragungstool abgefragt. Die Messung der Leistung in dieser Aufgabe wird im Folgenden als Wiedererkennen bezeichnet, gemessen wurde die Anzahl der Fehler im Test. Geschwindigkeit (Millisekunden) und Genauigkeit (Abweichung in Millimetern) wurden automatisiert von der App auf dem Tablet-Computer gemessen und gespeichert.
Die Teilnehmer der Studie waren allesamt Studierende der RWTH Aachen sowie der Fachhochschule Aachen. Um eventuellen Enttäuschungen vorzubeugen, wurden die Teilnehmer erst nach der Studie darüber in Kenntnis gesetzt, dass sie randomisiert in einer von zwei verschiedenen Bedingungen getestet wurden. In Bezug auf die Randomisierung muss jedoch einschränkend hinzugefügt werden, dass Studienteilnehmer, die angaben, starke visuelle Beinträchtigungen (z. B. starke Kurzsichtigkeit) oder Beinträchtigungen des Bewegungsapparats (z. B. Knieprobleme) zu haben, der Kontrollbedingung zugewiesen wurden.
Im Folgenden wird die Stichprobe genauer beschrieben. Genannt wird der
Mittelwert eines gemessenen Wertes (allgemein bezeichnet mit M) und die
Standardabweichung (allgemein bezeichnet mit SD, Standard Deviation) als
Maß der Streuung. An der Studie nahmen insgesamt N = 38 Studierende teil, davon 25 männlich (65.8 %). Zwei
Fälle mussten aufgrund von Versuchsabbruch im Virtual Theatre
ausgeschlossen werden. Von den Probanden wurden 44.7 % im Mixed
Reality-Simulator Virtual Theatre ( n = 17) und
55.3 % am Laptop ( n = 21) getestet. Auf
Bedingungen bezogen war das Geschlechterverhältnis weitgehend
ausgeglichen: Im Virtual Theatre wurden sechs Frauen (35.3%) und am
Laptop sieben Frauen (33.3%) getestet. Das Durchschnittsalter betrug
24.71 Jahre ( SD = 3.06). Auf die Bedingungen
bezogen betrug das Durchschnittsalter im Virtual Theatre 25.33 Jahre (
SD = 3.07) und am Laptop 23.94 Jahre ( SD = 2.95).
Mit statistischen Methoden wurde untersucht, ob die Ergebnisse der
Untersuchungen zufälliger oder systematischer Natur sind. Eine
ausführliche Beschreibung über die hier genutzten Auswertungsmethoden
und Hinweise darüber, wie die genannten Werte zu lesen sind, findet sich
in zahlreichen Lehrbüchern der Statistik. F (1,36) = 10.93) und
andererseits, ob es sich bei einem Unterschied um einen statistisch
bedeutsamen Befund handelt. Ausschlaggebend hierfür ist die Über- oder
Unterschreitung des gewählten Signifikanzniveaus, z. B. 5%, also die
akzeptierte Fehlerwahrscheinlichkeit des Tests. Diese
Fehlerwahrscheinlichkeit und die Über- oder Unterschreitung dieser
Schwelle wird ebenfalls in der Teststatistik genannt (z. B. p > .05). Alle statistischen Ergebnisse wurden
mit dem Computerprogramm SPSS ausgewertet.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Nutzung des Virtual Theatres zu mehr
Präsenzerleben führt als die Nutzung des Laptops ( Abbildung 7 ). Signifikante
Bedingungseffekte zeigen sich bei den Subskalen der Selbstlokalisierung
(Self Location, F (1,36) = 15.75; p < .001) und den möglichen Handlungen
(Possible Actions, F (1,36) = 4.90; p < .05).
Der positive Einfluss von natürlichen Benutzerschnittstellen auf
Flow-Erleben kann nur teilweise bestätigt werden. Hier zeigt sich ein
signifikanter Unterschied zwischen den Bedingungen in der intendierten
Richtung nur für die Subskala ›Absorbiertheit‹ ( F (1, 36) = 10.63; p < .01, sig.).
In der Subskala des glatten automatisierten Verlaufs gibt es keinen
Unterschied zwischen den beiden Bedingungen ( Abbildung 8 ).
Exemplarisch an Items der jeweiligen Subskalen beschrieben, führt die
Nutzung des Mixed Reality-Simulators Virtual Theatre also dazu, dass
Probanden vertieft in das sind, was sie gerade machen, selbstvergessen
sind und nicht merken, wie die Zeit vergeht (= gedankliche
Absorbiertheit). Die Nutzung des Mixed Reality-Simulators führt jedoch
nicht dazu, dass die Probanden das Gefühl haben, den Ablauf unter
Kontrolle zu haben, dass sie bei jedem Schritt wissen, was zu tun ist
oder dass die Gedanken und Aktivitäten flüssig und glatt laufen (=
glatter automatisierter Verlauf).
In Bezug auf die in der Rezeptionssituation erlebten Emotionen lässt
sich festhalten, dass insgesamt mehr positive Emotionen im Virtual
Theatre erlebt wurden ( F (1, 36) = 6.18; p < .05; Abbildung 9 ). Dieser Effekt
lässt sich auf die Subskalen ›Faszination‹ ( F
(1,36) = 6.22; p < .05) und ›Ergriffenheit‹ (
F (1,36) = 15.62; p
< .001) zurückführen, welche im Virtual Theatre deutlich ausgeprägter
vorkamen.
Das Virtual Theatre führt nicht zu besseren Leistungen als die
Laptop-Bedingung. In Bezug auf die Anzahl der Fehler im Gedächtnistest
›Labyrinth‹ zeigt sich ein gegenteiliger Effekt: Im Virtual Theatre
werden signifikant mehr Fehler gemacht ( F (1,36)
= 10.93; p < .01) als am Laptop ( Abbildung 10
).
Im Vorfeld wurde angenommen, dass allein die technische Beschaffenheit der natürlichen Benutzerschnittstellen dazu beitragen kann, sich eher in einer virtuellen Umgebung als in der physisch realen Umwelt präsent zu fühlen. Die hochsignifikanten Ergebnisse der Varianzanalyse haben die positive Wirkung der natürlichen Benutzerschnittstelle auf Präsenzerleben bestätigt.
Im Vorfeld wurde außerdem angenommen, dass die technische Beschaffenheit der natürlichen Benutzerschnittstellen dazu beitragen kann, sich fokussiert einer Aufgabe zu widmen und somit Flow-Erleben zu initiieren. Dies haben die Ergebnisse der Datenauswertung bestätigt. In Bezug auf den glatten, automatisierten Verlauf wurde kein Unterschied zwischen den beiden Bedingungen festgestellt, was wiederum darauf zurückzuführen ist, dass Flow ein tätigkeitsspezifisches Konstrukt ist. Der flüssige Verlauf der Gedanken in Bezug auf eine Tätigkeit wird somit anscheinend nach der virtuellen Umgebung beurteilt.
Die positiveren Emotionen im Virtual Theatre lassen sich dadurch erklären,
dass alleine das Erlebnis, virtuelle Umgebungen mit natürlichen
Benutzerschnittstellen zu erkunden, positive Emotionen initiiert. Das
Virtual Theatre als solches vermag insbesondere mehr Faszination und
Ergriffenheit auszulösen, als die gleiche Aufgabe an einem Laptop
auszuführen. Dies könnte durch den Neuigkeitswert der Technologie begründet
sein, welcher wiederum an das Motiv der Neugier der Probanden appelliert
haben könnte.
Eines der entscheidendsten Ergebnisse dieser Studie ist, dass die Probanden
im Virtual Theatre keine besseren Ergebnisse erzielt haben, als die
Probanden am Laptop. Im Gegenteil: in Bezug auf das Wiedererkennen der
Objekte lieferte diese Gruppe sogar eine signifikant schlechtere Leistung
als die Gruppe am Laptop. Das Ergebnis könnte zum einen schlicht auf zu
viele Störfaktoren zurückzuführen sein, die noch mit der Technik des Virtual
Theatre einhergehen, wie z. B. der Lautstärkepegel des omnidirektionalen
Bodens oder ergonomische Aspekte des Head Mounted Displays. Wären solche
technischen Optimierungsaspekte einmal abgeschlossen, so könnte man auch im
Virtual Theatre bessere Lernergebnisse erwarten. Zum anderen drängt sich an
dieser Stelle jedoch der Verdacht auf, dass die Steuerung virtueller
Lernumgebung über natürliche Benutzerschnittstellen zumindest bei
Erstbenutzung eine Aufgabe ist, die kognitive Ressourcen benötigt. Mit
anderen Worten: So natürlich, wie es der Steuerungsmodus vorgibt zu sein,
ist er nicht. Es scheint sich um Eingabemuster zu handeln, die den
natürlichen Bewegungen zwar stark ähneln, aber sich so hinreichend von ihnen
unterscheiden, dass sie zumindest geübt werden müssen.
Eine weitere Interpretation der schlechteren Lernergebnisse im Mixed Reality-Szenario ist die Überlappung von Immersion und Kognition. So ist es allein schon durch die technische Isolation des Head Mounted Displays bedingt, dass mehr Aufmerksamkeit auf die virtuelle Lernumgebung gelenkt wird, als dies beim Vergleichsszenario am Laptop der Fall ist. Die Aufnahme dieser zusätzlichen visuellen Reize aus der Lernumgebung könnte von der Bearbeitung der eigentlichen inhaltlichen Aufgabe ablenken.
Insbesondere zu einem späteren Zeitpunkt im Rahmen der Forschung an natürlichen Benutzerschnittstellen in der Hochschullehre wird es notwendig sein, neben Daten der potenziellen Nutzergruppe der Studierenden auch die Anforderungen von Lehrenden zu erheben. Hier geht es vor allem um inhaltliche Aspekte der Gestaltung von virtuellen Lernumgebungen, damit diese auch ein bestimmtes didaktisches Anliegen einlösen.
Das vermeintlich unbefriedigende Ergebnis der schlechteren Leistung im Mixed Reality-Szenario verdeutlicht paradoxerweise das große Potenzial, was sich hinter der neuen Technologie verbirgt: Die realistische Nachbildung einer späteren Anwendungssituation des im schulischen oder hochschulischen Kontext erworbenen Wissens. Denn auch die physische Realität zeichnet sich durch ein hohes Maß an Komplexität und sachfremder Beanspruchung aus. Hierauf kann eventuell ein Lernmodul im Mixed Reality-Simulator besser vorbereiten, als eines, das am Laptop absolviert wird. Aus ethischer Perspektive scheint dies insbesondere für jene Situationen sinnvoll zu sein, in denen Fehlverhalten zu gesundheitlichen Schäden der Person selbst oder anderer beteiligter Personen führen würde. Im Hinblick auf den im Bereich der Hochschullehre häufig diskutierten mangelnden Praxisbezug liefert das junge Forschungsgebiet der Mixed Reality also neue Möglichkeiten.
Die Ergebnisse bestätigen die Notwendigkeit, natürliche
Benutzerschnittstellen hinsichtlich ihres technischen Potenzials immer mit
den tatsächlich erlebten Emotionen und Wahrnehmungsparametern der
Nutzergruppen abzugleichen. Durch eine genaue Überprüfung des Zusammenhangs
zwischen Nutzerin bzw. Nutzer, Hardware, virtueller Umgebung und Lernerfolg
ist es möglich, die Bedeutung von Immersion für Lernprozesse in virtuellen
Umgebungen weiter zu erforschen. Die technische Optimierung natürlicher
Benutzerschnittstellen in enger Verzahnung mit der durchdachten und
reflektierten Entwicklung passender virtueller Lernszenarien ist für die
Erziehungswissenschaften eine mögliche Option, sich mit dieser Art der neuen
Methodik der Entwicklung neuer Lösungen für die Vermittlung von Lerninhalten
zu widmen.